„Little Red Rooster“ – heute vor 60 Jahren

Im November 1964 veröffentlichten die Rolling Stones ihre Coverversion von Willie Dixons Song „Little Red Rooster“, den drei Jahre zuvor die Chicagoer Blueslegende Howlin‘ Wolf als „The Red Rooster“ aufgenommen hatte.

Der Manager der Stones, Andrew Oldham, wollte unbedingt, dass sie den Titel aufnahmen, um das Image als harte, schmuddelige Band zu wahren, die das Gegenteil der schnieken Beatles verkörperte. Ihre vorherigen Singles „It’s All Over Now“, „Not Fade Away“ und „I Wanna Be Your Man“ waren im Vereinigten Königreich zwar alle erfolgreich, führte sie aber vom Blues weg und in eine eher poppige Richtung.

Im Song „Little Red Rooster“ geht es nur vordergründig um einen Hahn, der zu faul ist, frühmorgens zu krähen und im Hühnerhof nur Chaos stiftet, bevor ausbüxt, um auf die Jagd zu gehen.

Man sollte meinen, dass ein amerikanischer Bluessong über einen Hahn auf der Pirsch im Vereinigten Königreich kein großes Hitpotenzial hätte. Doch den Stones gelang es, die skeptischen Bosse ihres Decca Labels zu überzeugen. Und tatsächlich schoss der Song heute vor 60 Jahren an die Spitze der britischen Charts. Bis heute ist er der einzige Bluessong, der Platz 1 der britischen Singles-Charts erreichte.

Brian Jones spielte bei diesem Stück Slide-Gitarre. Er war Gründungsmitglied der Band und zu dieser Zeit ihr Leadgitarrist, bis ihn schwere Drogenprobleme und Konflikte mit seinen Bandkollegen 1969 zum Ausstieg aus der Gruppe zwangen, nur wenige Wochen bevor er tot in seinem Swimmingpool aufgefunden wurde. Mick Jagger steuerte neben dem Gesang die Harmonika im Schlussteil des Songs bei.

Das amerikanische Label der Stones, London Records, lehnte übrigens die Veröffentlichung von „Little Red Rooster“ als Single ab, aber im Februar 1965 tauchte das Stück auf dem US-Album „The Rolling Stones, Now!“ auf. Über die Gründe, warum die Plattenfirma den Song auf ein Album verbannte, ist viel spekuliert worden. Möglicherweise erschien dem Label der harte elektrische Blues-Sound nicht tanzbar genug, um sich erfolgreich zu verkaufen. Vielleicht war der Song aber auch dem US-Publikum aufgrund der Popularität von Sam Cookes Version von „Little Red Rooster“ noch zu vertraut, die im Jahr zuvor nur knapp die Top 10 verpasst hatte.

Denkbar ist indessen auch, dass die amerikanischen Plattenbosse die mehr oder minder versteckten sexuellen Anspielungen im Song besser als ihre britischen Kollegen verstanden und daran Anstoß nahmen. So bedeutet „Rooster“ nicht nur „Hahn“, sondern ist in der Sprache des „schmutzigen Blues“ auch ein Vulgärausdruck für das erigierte männliche Glied.  Zudem ist die Zeile „…little red rooster’s on the prowl“, ein offensichtlicher Fingerzeig auf einen ausschweifenden virilen Beutezug.        

Sam Cookes ausgefeiltes Pop-Arrangement und sein unbeschwerter Charme mögen einige der anzüglichen Elemente des Songs überdeckt haben. Aber nur Blauäugige oder wer sich der Doppeldeutigkeiten der Sprache des Blues nicht bewusst war, konnte die schlüpfrigen Andeutungen überhören, die sich lasziv durch Mick Jaggers Gesang und Brian Jones‘ Slide-Gitarre schlängeln.

Das Stones-Arrangement von „Little Red Rooster“ lehnt sich eng an Howlin‘ Wolfs Original an. Dennoch ist die Instrumentierung in der Version der Rolling Stones etwas knackiger, das Tempo einen Tick schneller, Jaggers Phrasierung schelmischer, jugendlicher.

Mit „Little Red Rooster“ schlossen die Rolling Stones die erste Ära ihrer Karriere ab. Obwohl die Band den Einfluss des Blues während ihrer gesamten Karriere beibehielt, sollte er nicht mehr ihr Hauptanliegen sein. Der Song „Little Red Rooster“ war im Übrigen auch die letzte Coverversion der Stones, mit der die Band einen großen Hit verbuchte.

„The Last Time“ kletterte im März 1965 auf Platz 1 der britischen Charts, „(I can’t get no) Satisfaction“ im September des gleichen Jahres. Mit beiden Songs, die aus der Feder des aufstrebenden Teams Jagger-Richards stammten, betraten die Rolling Stones jetzt Neuland, nahmen Anleihen bei Blues, Country, Rock, Pop und fanden zu ihrem typischen, unverkennbaren Sound, der sie zur ältesten erfolgreichen Rockband machte.

Hans Kaltwasser
Hans Kaltwasser
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