Elizabeth „Lee“ Miller war ein bemerkenswerter Mensch. In einer grundlegend männlich dominierten Zeit gehörte sie zu den ganz wenigen weiblichen Kriegskorrespondentinnen. Von der Landung der Alliierten in Nordfrankreich im Sommer 1944 bis zur Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 begleitete sie hautnah die Befreiung Europas von der Nazi-Herrschaft.
Lee Miller wurde 1907 in New York geboren. Im Alter von zwanzig Jahren begann die burschikose Lee eine Modelkarriere, die sie 1927 nach Paris führte. Dort lernte sie die Künstlerszene der Surrealisten und den Fotografen Man Ray kennen. Zusammen mit letzterem entstanden zahlreiche Projekte. Schließlich eröffnete Lee Miller ein eigenes Fotostudio, zunächst in Paris, dann in New York. Dort traf sie auf den ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey, den sie heiratete. 1935 folgte sie ihm nach Kairo. Doch die rastlose Lee hielt es nicht lange am Nil aus. Zusammen mit ihrem späteren zweiten Ehemann, dem surrealistischen Künstler Roland Penrose, bereiste sie weite Teile Europas. Dabei entstanden zahlreiche Fotoarbeiten. 1939 begann Lee Miller als Fotografin für die Vogue in New York zu arbeiten und erhielt 1942 eine Akkreditierung als Kriegsreporterin. Erste Aufnahmen entstanden im von den deutschen Luftangriffen verwüsteten London. Ab Sommer 1944 begleitete Lee Miller den westalliierten Eroberungsfeldzug bis zum Ende des Krieges in Europa im Mai 1945.
Der vorliegende Band enthält ihre Reportagen und Fotos aus dieser Zeit. Bemerkenswert sind sie vor allem deshalb, weil Lee Miller stets im Brennpunkt des Geschehens war. Sie berichtet von der Belagerung Saint-Malos und beschreibt – unwissentlich – den ersten Napalm-Angriff der Geschichte, sie schildert in Wort und Bild ihre Eindrücke von der Befreiung der französischen Hauptstadt und trifft auf Künstler wie Colette und Picasso.
Sie gibt blutige Einblicke in die Lazarette sowie Schlachtfelder und dokumentiert die Kapitulationen deutscher Streitkräfte. Weiter geht es durch das schneebedeckte Elsass und nach Deutschland, wo sie die Eroberungen und Zerstörungen miterlebt. In Buchenwald und Dachau sieht Lee Miller hautnah die Gräuel der Nazi-Herrschaft. In Torgau hält sie das Zusammentreffen der Russen und US-Amerikaner fest. In München nimmt Lee Miller ein Bad in Hitlers Wohnung am Prinzregentenplatz und erlebt die Plünderung von dessen Alpenfestung in Berchtesgaden.
Ihren Hass auf die Deutschen, den Lee Miller zeitlebens nicht ablegte, kann sie nicht verbergen. Diese werden stets als Krauts und Hunnen bezeichnet. Deutsche Kriegsgefangene würde sie am liebsten auspeitschen lassen. Kahlrasierten französischen Frauen, die als vermeintliche Kollaborateure für schuldig befunden wurden, bringt sie keinerlei Mitgefühl entgegen. Stets spricht sie von „wir“ und „uns“ und identifiziert sich mit der kämpfenden alliierten Truppe – etwas, dass man in der Vergangenheit auch in den USA bei den „Embedded War Journalists“ beobachten konnte. Während die Alliierten heroisch und ehrenhaft sind, sieht sie auf Seite der Deutschen ausschließlich Heimtücke und Feigheit. Diese Ablehnung ist angesichts ihrer Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und ihrer persönlichen Verbundenheit zu Frankreich allerdings nur menschlich und verständlich.
Nach dem Krieg litt Lee Miller angesichts der erlebten Schrecken bis zu ihrem Tod im Jahr 1977 immer wieder an Depressionen und Alkoholmissbrauch. Den Wert ihrer Fotos und Reportagen schmälert die subjektive Einfärbung nicht. Die sind ein spannendes Zeitdokument aus alliierter Sicht. Autor: Stephan Petersen
Krieg
Mit den Alliierten in Europa 1944-1945. Reportagen und Fotos
Autorin:Lee Miller
Originaltitel: Lee Miller’s War 1944-1945
Originalverlag: Condé Nast Books
ISBN: 978-3-442-74901-0
Verlag: btb