Lass uns doch noch etwas bleiben

Der neue Roman von Lionel Shriver „Lass uns doch noch etwas bleiben“ nimmt das Ehepaar Kay und Cyril Wilkinson zunächst in den Blick, als beide noch mitten im Leben stehen. Als Kays Vater stirbt, geht ein langer Kampf gegen Krankheit und Siechtum zu Ende und Kay mag nicht zu sagen, ob sie deutlicher erleichtert als traurig ist.

Sie und ihr Mann Cyril, beide in medizinischen Berufen tätig und Mitte fünfzig, wissen ausreichend genau wie das Leben kranker Patienten in den medizinischen Einrichtungen aussieht. Sie fürchten diesen Zustand zu erreichen mehr, als zu sterben. Soweit die Theorie, die insbesondere Cyril mit seinem nüchternen Verstand ausgerechnet hat. Wie lange und wie teuer dieser Zustand werden würde, mit eingeschlossen. Darum hat er bereits einen Entschluss gefasst – mit achtzig Jahren ist Schluss. Nach einigem Zögern willigt Kay schließlich ein. Es ist noch viel Zeit bis dahin. Denn auch Kay will in Würde zu sterben. Sobald sie beide achtzig Jahre alt sind, wollen sie ihrem Leben ein Ende setzen.

Doch die Zeit vergeht rasend schnell und plötzlich befinden sie sich in der Zeit des Brexits, der Corona-Pandemie und kurz vor ihrem achtzigsten Geburtstag. Was wäre, wenn, überlegt Kay, wir einfach weiterleben wie bisher? Ist es nicht absurd, freiwillig sterben zu wollen, wo die meisten alten Menschen mit heroischen Mitteln vor dem Covid-Tod gerettet werden sollen?

Es gibt verschiedene Versionen, die durchgespielt werden können, doch Cyrils Entschluss steht immer noch fest. Dafür hat die Autorin Lionel Shriver Alternativen parat, und es breiten sich zwölf mehr oder weniger überraschende Pfade zum Ende auf, die die Autorin mit ihrer ganz eigenen Ironie und Humor erzählt: Vielleicht stirbt ja einer zuvor durch einen tödlichen Unfall. Oder nur ein Partner schluckt das Leben beendende Medikament, während der andere überlegt und noch eine lange Weile überlebt ….

Heute werden die Menschen ungleich älter, aber so alt wie nie zuvor. Ein Fluch oder Segen, das hängt nicht nur, aber auch von jedem Einzelnen ab. Und Shriver bringt es auf den Punkt, wenn sie Politik und Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Denn die Alterspyramide ist seit langem keine mehr. Und was wäre, wenn noch mehr Menschen geboren werden und noch viele mehr noch älter werden und wie Cyril in einer der Episoden im Roman „Lass uns noch etwas bleiben“ mit einhundertzehn Jahren nur noch einhundertachtzig Liegestütze machen können?

Ein fürchterlich zeitgemäßer Roman, klug, humorvoll und nachdenklich stimmend. Auf jeden Fall eine sehr empfehlenswerte und inspirierende Lektüre.

Lionel Shriver – Lass uns doch noch etwas bleiben

Erschienen am 27.06.2024 beim Verlag Piper
Übersetzt von: Bettina Abarbanell, Nikolaus Hansen
352 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-05933-6

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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