Die ersten Szenen des Films „Münter & Kandinsky“ zeigen einen dunklen, nur von einer Glühbirne erleuchteten Raum und schemenhaft das Gesicht einer Frau, die Leinwände einwickelt und versteckt. Bewegungen sind zu hören und plötzlich ein lautes Klopfen an der Tür. Nazis verschaffen sich Einlass in das Haus der Künstlerin Gabriele Münter in Murnau. Es ist das Jahr 1942 und die Kunst der Malerin soll konfisziert werden, da ihre Werke gegen das „gesunde Volksempfinden verstoßen“.
Der Film wechselt ins Jahr 1901 nach München. Auch hier kann die quirlige und selbstbewusste Gabriele Münter, die von ihren Freund*innen nur Ele genannt wird, die staatliche Kunstschule nicht besuchen. Frauen wird dieses Recht verwehrt. Darum besucht sie eine private Akademie, die jedoch Geld kostet. Dort beschleicht sie bald das Gefühl, keine Förderung zu erhalten, und so schreibt sie sich in der Malschule „Phalanx“ ein, wo sie bei dem russischen Künstler Wassily Kandinsky landet.
Münter & Kandinsky – eine wahre Liebesgeschichte
Nun beginnt die bewegende Geschichte zwei begabter Menschen, die sich sehr schnell ineinander verlieben. Kandinsky versteht es, seinen Schüler*innen seinen ästhetischen Kunstbegriff zu vermitteln. Der Film zeigt pittoreske Landschaften im „Blauen Land“, die Kandinsky bei einem Lehrausflug mit seiner Klasse aufsucht, der selbst Synästhetiker ist und darum eine besondere Sinneswahrnehmung besitzt. Er ermuntert die jungen Künstler*innen dazu, nur das, was sie sehen und einen inneren Widerhall erzeugt, auf die Leinwand zu bringen. Münter versteht auf Anhieb seinen Ansatz und setzt ihn auf ihre eigene Weise um. Lehrer und Schülerin wachsen so auch über Ihre künstlerisch produktive Weise zusammen.
Gabriele Münter (Vanessa Loibl) beim Malen in Kallmünz Foto von Stephanie Kulbach ©CCC Cinema und Television
Münter drängt Kandinsky dazu, seine Ehe aufzulösen. Doch es bleibt bei der fatalen Verbindung. Das Paar reist und verbringt eine Zeit in Paris. Doch Gabriele Münter verspürt den Drang, sich malerisch weiter zu entwickeln. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird ein Haus in der bayerischen Provinz Murnau am Staffelsee ihre Zuflucht und hier gelingt der künstlerische Aufbruch in die Moderne. Eine Malerei und ein Kunstverständnis wird geboren, das mit dem bisherigen nahezu unvereinbar ist. Die epochale Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“ wird gegründet.
Die Beziehung zwischen den berühmten Künstlerpersonen Münter und Kandinsky jedoch endet im Jahre 1916, die beiden werden sich nie wiedersehen.
Präzise recherchiertes filmisches Werk
Selten sind Filme über historische Persönlichkeiten so präzise und genau recherchiert worden wie dieser Kinofilm, der sich vor allem auf Briefwechsel, Tagebucheintragungen und eigens verfasste Schriften des ungleichen Künstler*innenpaares und ihrer Künstler*innenfreunde stützt. Zudem gibt es eine Reihe von Originalzitaten. Ein Grund mehr, warum der Film sehr authentisch wirkt und die Kinobesucher*innen in eine andere Zeit und künstlerische Welt katapultiert. Vor allem zeigt er auch die Situation begabter Frauen, die oftmals keine Chance hatten, sich künstlerisch zu entfalten und Karriere zu machen.
Ausdrucksstarke Bilder und Szenen lassen die Atmosphäre der damaligen Künstlerszene intensiv erleben. Die Darsteller sind ganz in ihren Rollen – Vanessa Loibl als starke weibliche Figur Gabriele Münter und Vladimir Burlakov als Wassily Kandinsky.
Die Journalistin, Historikerin und Filmproduzentin Dr. Alice Brauner verfasste das Drehbuch, die perfekte Vorlage für den Regisseur Marcus O. Rosenmüller, der ein Gespür dafür bewiesen hat, jenseits akademischen Künstlerverstehens den Menschen hinter den berühmten und bekannten Kunstwerken zu zeigen. Das ist dem Film glänzend gelungen, der damit hoffentlich den Nebeneffekt auslöst, Münters und Kandinskys Kunst für das Publikum noch eindrücklicher zu vermitteln und zu verstehen. Unbedingt im Kino ansehen!
Übrigens hat Gabriele Münter ihre und die ihr verbliebenen Werke Kandinskys dem Lenbachhaus in München gestiftet.