Gegen Pianisten hatte Ornette Coleman angeblich eine Abneigung, wobei diese nicht gegen den Musiker, sondern das Instrument gerichtet war, das nach seiner Meinung seine Harmonik einschränkte. So sind Pianisten nur auf wenigen Alben des Wegbereiters des Free Jazz zu hören.
Vom Klavierspiel Joachim Kühns, den er Anfang der 1990er Jahre in Paris kennengelernt hatte, zeigte sich Coleman allerdings offenbar sehr angetan. Ein Duo-Konzert in der Riesenarena von Verona war der Auftakt zu einer langjährigen künstlerischen Zusammenarbeit; sechzehn gemeinsame Konzerte gaben die beiden von 1995 bis 2000. Für jedes von diesen schrieb Coleman jeweils zehn Stücke, die die beiden gemeinsam ausgearbeitet und in seinem Studio in Harlem aufgenommen haben. Nach dem Konzert wurden die Songs nie wieder gespielt.
Die schönsten dieser insgesamten 170 Songs hat Joachim Kühn, der im Alleinbesitz der Aufnahmen und Noten sämtlicher Stücke ist, für sein soeben erschienenes Album MELODIC ORNETTE COLEMAN neu zusammengestellt und auf dem Klavier Solo eingespielt. Dreizehn exquisite Pianosongs, die eine ganz andere Seite von Ornette Coleman zeigen. Nicht die Ikone des eruptiven Free Jazz, die das harmonisch freie Improvisationsspiel an die Stelle fester Akkordwechsel setzt, sondern den Schöpfer farbenstarker, zugänglicher Melodien.
Der vielfach gecoverte Song „Lonely Woman“, den Coleman bereits 1959 auf seinem Album „The Shape of Jazz to Come“ veröffentlichte, ist hier gleich in zwei Versionen zu hören, von denen jede auf ihre Weise fasziniert. Die erste mit dem Untertitel „Rambling“ ist eine feine Improvisation im Vergleich zu der ruhigen, etwas verschnörkelten Version gegen Ende des Albums. Dazwischen finden sich Stücke , die als elegante, mit ruhiger Kraft souverän vorgetragene Etuden erfreuen („Songworld“, „Immeriscible Most Capable Of Being“) oder zwischen erdigen, fast traditionellen („Lost Thoughts“), fröhlich verspielten („Love Is Not Generous, Sex Belongs to Woman) und melancholischen Melodien („Somewhere“) changieren. Nur selten nutzt Kühn dabei das Ausgangsmaterial für tempogeladene, ekstatische Ausbrüche. Die innere Nervosität, die der Musik Coleman vielfach anhaftet, wird hier gebändigt, was einst konfrontativ war, mit fast analytischem Feingefühl gedämpft und in ruhiger, introspektiver Weise neu geformt. Mit dem letzten Stück, dem von Kühn geschriebenen Bonustitel „The End Of The World“, zollt der großartige deutsche Pianist der Jazz-Ikone Coleman noch einmal persönlich Tribut.
MELODIC ORNETTE COLEMAN ist ein Album, das rundum gefällt, als stimmungsvolle Musik für die Zeit um Mitternacht oder als besinnliches Solokonzert und exquisite Hommage eines großartigen deutschen Pianisten an eine Jazz-Legende.
Joachim Kühn
Melodic Ornette Coleman
- Format:Vinyl
- Kat Nr.: ACTLP 9763-1
- Barcode: 614427976314
- VÖ. Deutschland:22.02.2019
- ACT MUSIC
Foto: © juanjo fotografia professional, Ibiza 2018