Bilder über den Krieg in Syrien oder anderen Teilen der Erde erreichen uns über die Medien fast täglich, doch er kommt uns zuhause vor den Bildschirmen nicht wirklich nah. Anders, wenn man den Film Innen Leben sieht, der einen ungewohnten Fokus wählt. Eine kleine Wohnung, die scheinbar hermetisch abgeschlossen so etwas wie Normalität und Sicherheit inmitten des Kriegs und seinen schrecklichen Folgen verspricht.
Verantwortlich für ihr Heim ist Oum Yazan (Hiam Abbass). Neben ihrer Familie, dem Schwiegervater, ihren drei Kindern Yara, Aliya und Yazan und der philippinischen Haushaltshilfe Delhani befinden sich ein junges Ehepaar, Samir und Halima mit ihrem Baby, sowie Yaras Freund Karim, in ihrer Wohnung.
Fast gelingt es Oum, eine alltägliche normale Atmosphäre herzustellen: sie erteilt ihren Kindern und dem Dienstmädchen Delhani Aufgaben, sorgt dafür, dass die Vorhänge dicht geschlossen bleiben und die Wohnungstür verriegelt ist. Scharfschützen sollen glauben, die Wohnung sei unbewohnt. Oums Mann will am Abend zurück sein. Der Schwiegervater raucht viel wie immer und gibt dem Enkelsohn Unterricht, die Töchter verbrauchen zu viel Wasser im Bad, deshalb gibt es Streit, denn die Wasserversorgung ist schlecht. Die Essensvorbereitungen sollen bald beginnen. Doch dann geschieht etwas, das den Krieg in diese abgeschirmte Gemeinschaft hineinkatapultiert.
Samir verlässt das Haus, wird im Hof angeschossen und bleibt regungslos liegen. Das Hausmädchen wird ungewollt Zeugin des Geschehens und berichtet Oum davon. Was soll nun passieren? Noch bevor die junge Ehefrau Halima davon erfährt, hören alle, dass jemand ins Haus gekommen ist. Es sind Stimmen zu hören. Gewaltsam dringen zwei Männer in die Wohnung ein….
Der Kampf ums Überleben – im Krieg steht er an erster Stelle. Ohnmächtig ist man der Willkür des Krieges ausgesetzt, und eine Wohnung bietet da nur zweifelhafte Sicherheit. Mehr noch, sie kann schnell zum Gefängnis werden und zur Prüfstelle für Menschlichkeit. Wenn der Instinkt zum Überleben die Oberhand bekommt, bleibt die Moral manchmal auf der Strecke, wie der Film auf bestürzend authentische Weise zeigt. Moralisches Versagen, das im Frieden sanktioniert wird, im Krieg aber wird es zugunsten des impulsiven Selbsterhaltungstriebs oftmals zur Normalität.
Ein zutiefst berührender, erschütternder und dramatischer Film, der mit seinen Bildern menschliche Ängste und Verzweiflung, aber auch scheußliche Gewalttaten eindringlich, aber ohne Voyeurismus zeigt.
Abgesehen von Hiam Abbass (die Mutter) und Diamand Bou Abboud (Halima) sind die Schauspieler alle syrische Flüchtlinge. Der Krieg in Syrien gegen die syrische Bevölkerung tobt seit sechs Jahren.
Der Film gewann auf der 67. Berlinale den Publikumspreis der Sektion Panorama. Regie und Drehbuch Philippe Van Leeuw
Kinostart: 22.06.2017
Alle Fotos: Weltkino