Spätestens seit im Jahr 1988 die Hip-Hop-Band N.W.A das Album Straight Outta Compton herausbrachte, ist der Vorort von Los Angeles in den Blickpunkt der Medien geraten.
Insbesondere die Gesetzlosigkeit, die dort herrscht, war vorrangiges Thema des Albums. Nur einige Jahre später sollte es zu den schlimmsten Ausschreitungen kommen, die seit 1960 in L. A. und besonders auch in Compton wüteten. Grund für die massiven Ausschreitungen war der Freispruch der Geschworenen für die weißen Polizeibeamten Theordore Briseno, Timothy Wind und Stacey Koon. Sie waren angeklagt, übertriebene Gewaltanwendung gegen den afroamerikanischen Bürger Rodney King bei dessen Festnahme ausgeübt zu haben.
Los Angeles gehört zu den Städten mit der höchsten Zahl an Straßenbanden. Nach Schätzungen sind mehrere Hundert Gangs mit über 100.000 Mitgliedern aktiv. Dagegen sind die 7.900 Polizisten nahezu machtlos. Sechs Tage Wut in den Straßen, die sich 1992 in Schäden von über einer Milliarde Dollar, im Ausbruch von über 10.000 Bränden, 10.000 Verhaftungen und 52 Toten äußerte. Dem Autor des Thrillers „In den Strassen die Wut“, Ryan Gattis, erschien die letzte Zahl zu gering. Und er behielt nach seinen intensiven Recherchen recht. Er fand heraus, „dass Todesfälle in Gegenden, in die sich die Polizei damals nicht wagte, gar nicht in die Statistik eingeflossen waren“, und demnach sehr viel höher ausfielen.
Aber konnten diese massiven Überschreitungen und Tötungsdelikte allein durch das Fehlurteil der Geschworenen ausgelöst worden sein?
Rodney King war ein Schwarzer, und demzufolge wurden auch afroamerikanische Gangs mobilisiert. Doch es gibt in den betroffenen Bezirken eine große Anzahl lateinamerikanischer und koreanischer Einwanderer und offene Auseinandersetzungen zwischen latino- und afroamerikanischen Gangs.
Das bildet vereinfacht die Ausgangslage, die zu diesen dramatischen Entwicklungen führten und Ryan Gattis dazu bewegte, daraus ein Tagebuch des Schreckens zu machen: sechs Tage, zu denen sich Gangmitglieder und deren Familien, Feuerwehrleute, Krankenschwestern und viele andere geäußert haben.
Und das ist wirklich spannend und erschütternd, wenn geschildert wird, wie eine junge Frau, Mitglied in einer Gang, ihren ältesten Bruder Ernesto rächt, weil der, selbst kein Gang-Mitglied, brutal getötet wurde. Gerechtigkeit heißt hier Vergeltung.
Eine Stadt unter Feuer und im Ausnahmezustand ist aber auch für diejenigen verlockend, die noch alte Rechnungen zu begleichen haben oder tief in Schulden stecken. Ein Hausbrand kann da schon mal die Lösung sein. Auch davon handelt das Buch, das so authentisch und bewegend geschrieben ist, dass man beim Lesen schon mal einige Seiten überlesen möchte.
Der Autor hat viele Gespräche mit Beteiligten beider Seiten geführt. Die gefährlichen fanden mit denjenigen statt, die auf der „falschen“ Seite standen.
Ein mutiges Vorhaben, das sich gelohnt hat und im Ergebnis dieses erschütternde, aber sehr lesenswerte Buch hervorgebracht hat.
[su_quote]Wie der US-amerikanische Soziologe Robert K. Merton gesagt hat, wenn kulturelle Ziele und legale Mittel aufgegeben und durch neue ersetzt werden, dann ist das Rebellion. Werden kulturelle Ziele akzeptiert, die Mittel zur Erreichung aber nicht vorhanden sind, werden sie durch illegale Mittel ersetzt, das nennt man Kriminalität.[/su_quote]
Ryan Gattis
In den Straßen die Wut
Thriller
Deutsche Erstausgabe
524 Seiten
Aus dem Englischen
von Ingo Herzke
ISBN: 978-3-499-27040-6
€ (D) 16,99/ € (AT) 17,50
Auch als E-Book erhältlich
ISBN: 978-3-644-54651-6
Erstverkaufstag: 22. Januar 2016
Verlag: rowohlt Polaris
Über den Autor: Ryan Gattis lebt in Los Angeles. Seinen Roman, der in zahlreiche Länder verkauft wurde, bezeichnet er selbst als «sourced fiction», authentisch durch recherchierte Information. Seine wichtigste Quelle: ein Bandenchef, zu dem er Zugang fand und der deutlich machte, was ins Buch kommen dürfe und was eine Kugel in den Kopf zur Folge haben würde. Gattis lehrt an der Chapman University und ist Creative Director des Street-Art-Kollektivs UGLARworks.