Lange bevor Ian Gillan Ende der 60ziger Jahre als Frontmann von Deep Purple zu einer Ikone des Hard Rock aufstieg, tingelte er mit seiner ersten Band The Javelins durch die Clubs in West London. Eine Platte nahm die Band jedoch damals nie auf. Erst Ende der 90iger Jahre entstand unter dem Titel Sole Agency & Representation eine LP für die Nachwelt, die eine Reihe von Rock’n‘ Roll Coverstücken enthielt. Auf den ersten Blick erscheint das aktuelle Album IAN GILLAN &THE JAVELINS wie eine Wiederveröffentlichung jener LP.
Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein neues Album, das 16 neue Coverstücke von Chuck Berry, den Coasters, Buddy Holly, Bo Diddley und anderen Idolen der Band enthält. Songs, die wohl zum damaligen Repertoire der Javelins gehörten und an denen Gillan seine gesanglichen Qualitäten geschult haben mochte, Grundlage seiner späteren Erfolge mit Deep Purple. Beim Hören des Albums offenbart sich indessen, dass auch der Rest der Band gar nicht übel ist und mit grundsolidem Spiel ohne Wenn und Aber überzeugt.
Schwer zu sagen, welcher der 16 Titel das Highlight ist. Die alte Motown-Nummer „Do you Love Me” von den Contours, mit dem das Album eröffnet, strotzt vor maskulinem Übermut und gefällt mit treibendem Schlagzeug und klassischen drum fills.
Chuck Berrys „Memphis, Tennessee“ kommt dagegen eher wie ein gemächliches Traben denn als Parforceritt daher, wobei die Sologitarre ein paar effektvolle Arpeggios einschiebt. Zudem ist die Nummer ebenso wie das schleppende „Chains“ dezent mit einer Prise Country & Western gewürzt.
Mit „High School Confidential“ und „Rock and Roll Music“ nimmt die Band wiederum Fahrt auf, unterstützt von brutal dahin gehämmerten Klavierläufen.
Das Stück „Mona“ verneigt sich gekonnt vor den synkopierten Rhythmen des Originals von Bo Diddley, während „You’re Gonna Ruin Me Baby“ ein langsamer, gefühlvoll rollender Boogie ist, bei dem Gillan zwischen einem längeren Klaviersolo und einer Slide-Guitar-Einlage an der Mundharmonika zu hören ist.
Beim Titel „It’s so Easy“ kommt Gillan Buddy Hollys Stimme ziemlich nahe, doch es ist hier eher das lässig filigrane Gitarrenspiel, das an diesem Song besonders gefällt.
Eine ausgesprochene Spaßnummer ist der Titel „Little Egypt (Ying-Yang)“, bei dem Gillan unterlegt mit einer Kirmesorgel zunächst den Jahrmarktschreier gibt. Dann setzt der Song im Stil einer Bossa-Nova-Nummer mit fetten Bläsern ein, die die unwiderstehlichen sexuellen Verführungskünste der ägyptischen Stripperin, von denen der Song handelt, akustisch treffend in Szene setzt. Ergreifender und ernster geht es dagegen in „Save the Last Dance for Me“ zu, aus dem Gillan eine große dramatische Ballade macht.
Überraschend dagegen das Cover des Drifters-Songs „Another Saturday Night“, das anstelle des schmalzigen Originals mit einem robusten bluesigen Auftakt daherkommt. Gillan gröhlt hier wie ein Hafenarbeiter, der unbedingt den letzten Cent in seiner Tasche für Schnaps, Weiber und irgendwelche Pillen ausgeben will, die ihm helfen wach zu bleiben.
Mit dem Cover des Sonny Boy Williams Blues-Klassikers „Smokestack Lightnin‘“, das die flirrende Schwüle des Südens ausschwitzt, offenbart die Band ihre Liebe zum Blues.
Ian Gillan und die Javelins hatten bei den fünftägigen Aufnahmen in einem Hamburger Studio offenbar viel Spaß, wie an der großen Spielfreudigkeit, die das gesamte Album durchzieht, zum Ausdruck kommt. Man muss auch nicht unbedingt in den 1950iger oder 1960iger geboren sein, um es zu genießen.
Ian Gillan & The Javelins
VÖ: 31.08.2018
earMUSIC /Edel Germany
CD, LP, Digital
Foto: earMusic/Edel