Håkon Kornstad: OUT OF THE LOOP – CD – Tipp

Kein anderes europäisches Land hat so schnell und drastisch auf die Coronapandemie reagiert wie Norwegen. Am 12. März 2020 ging das Land in den kompletten Lockdown. Restaurants, Geschäfte, Schulen, Kitas und Kultureinrichtungen wurden geschlossen. Der norwegische Saxophonist Håkon Kornstad war einer der Ersten, der nach der Schließung des Landes ein digitales Konzert veranstaltete und auf diese Weise versuchte,  ein Stück Kultur zu bewahren. Über 100.000 Menschen sahen das Konzert. Für den Jazz sind das gewiss erstaunliche Zahlen. Kornstad selbst war zu diesem Zeitpunkt selbst infiziert, hatte aber Glück und kam mit leichten Symptomen davon.

Kornstads neues Album OUT OF LOOP entstand während der dreiwöchigen Quarantäne, in der er in seinem Heimstudio mit dem Abmischen der neuen Songs begann, die er zuvor in der Osloer Sofienberg-Kirche auf genommen hatte. Der Titel spiegelt dabei die gefühlsmäßige Situation, in der sich der Jazzer befand: isoliert, von allem abgeschnitten, uneingeweiht.   

So elektronisch verfremdet hat man den Norweger noch nie gehört. Dennoch wird jeder Sound, auch die filigranen perkussiven Klänge, ausschließlich von Kornstads Saxophon erzeugt, das mit seinem warmen, sanften Klang die tonale Grundstimmung prägt. So vermeint man beim Track „Bremen“, ein herrlich schlurfendes Stück Coolness, einen Bass im Mix zu hören. Dennoch kommt hier wie bei den anderen Songs allein der Jazzer und sein Saxophon zum Einsatz.

Möglich ist dies, weil Kornstad die Töne mit seiner Loopstation dupliziert und die einzelnen, separat aufgenommenen Tonspuren übereinanderlegt. Die Looping-Texturen sind dabei nicht nur Hooks, die die erstaunlich vielschichtig klingenden Kompositionen erden, sondern sehr sorgfältig konstruierte Ausgangspunkte für harmonische Variationen, geschichtete Kontrapunkte und Improvisationen. Nur zum Scheine sind diese einfach. Denn die einzeln aufgenommenen Stimmen sind nahtlos miteinander verwoben und erlauben ausgedehnte, atmosphärisch dichte Improvisationen wie beim Stück „Petrus“, das mit seinen virtuosen Kadenzen einen abgerundeten Spannungsbogen aufbaut.

Das Album enthält auch zwei Hommagen an Musiker, die Kornstadt inspiriert haben. Der Song „Dewey Number“, eine minimalistische, getragene, allmählich aufblühende Hommage an den US-Saxophonisten Dewey Redman, verblüfft mit subtilen Klangveränderungen des Saxophons, sodass er am Ende wie ein Duett zwischen einem Saxophon und einem gestrichenen Kontrabass klingt. Der Titel „Sibelius“ ist von „Demanten på Marssnön (Op. 36)“ des finnischen Komponisten inspiriert und besticht als ein anmutiges, fast ambientes Kammerlied, bei dem Kornstad außerdem seine schöne Tenorstimmer zur Geltung bringen kann. 

Mit dem Song „A Movie That Never Was“ schließt das Album mit einer harmonisch reichen, leicht melancholischen Portion Noir-Jazz ab, die sich allmählich auflöst wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm.

Das Album OUT OF LOOP zeigt Håkon Kornstad einmal mehr als einen glänzenden, virtuosen Musiker und Komponisten, der sich unzweifelhaft in einer äußerst fruchtbaren Periode seines Schaffens befindet.  

Standardbild
Hans Kaltwasser
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