Macht es Sinn zwischen Gespräch und Interview zu unterscheiden? Wenn ja, dann ist das Motiv sicher entscheidend. Warum und zu welchem Zweck führe ich ein Gespräch? Beim Buch „Eigentlich müssten mir die Feministinnen die Füße küssen“ handelt es sich eher um Interviews, die jedoch in der Praxis zu guten Gesprächen geführt haben. Keine der 20 Frauen fühlte sich ausgeliefert oder überredet, gedrängt oder in die Irre geleitet, wenn sie über sich und ihren Beruf erzählten. Entstanden sind vielmehr entspannte und teilweise aufschlussreiche Dialoge zwischen Timo Frasch und seinen Gesprächspartnerinnen. Der Titel ist übrigens ein Zitat einer von ihnen, Sophia Thomalla, die den provokanten Satz während des Interview mit ihr gesagt hat.
Das Motto des Redakteurs dabei: Führe jedes Interview so, dass es sich auch noch in zehn oder zwanzig Jahren gut in einem Buch macht. Das ist Frasch mit den 20 Interviews gelungen, die ein faszinierendes Kaleidoskop darstellen. Vor den eigentlichen Interviews beschreibt der Autor dabei jeweils die Gründe für seine Auswahl.
Die Literaturkritikerin und Autorin Elke Heidenreich, die sehr offen und ehrlich Dinge aus ihrem spannenden Leben preisgibt, auch solche, nach denen sie nicht explizit gefragt wurde, ist nicht überraschend. Die Professorin Marion Kiechle, die für eine kurze Zeit Wissenschafts- und Kulturministerien in Bayern war, gibt Einblicke in dieses Politikerinnenleben, in dem sie vieles erreichen konnte. Da drängt sich die Frage auf, ob es vielleicht nicht häufiger Politiker*innen auf Zeit geben sollte. Auch Alice Schwarzer, die selbst viele Interviews geführt hat, zeigte sich im Gespräch entspannt und offen.
Wie wird man Marktfrau oder Pornodarstellerin? Soweit möglich, erhalten Leser*innen auch hier überraschende Antworten. Dialekte, Stigma und Sprachwandel – ein sehr interessantes Interview zu diesem Themenkreis, führte Timo Frasch mit der Dialektforscherin Edith Burkhart-Funk. Und nicht zu vergessen, ein sehr professionelles, liebevolles und ausführliches Gespräch ist ihm auch mit seiner Mutter gelungen.
Alle Gespräche sind in der F.A.Z erschienen und finden sich in diesem höchst lesenswerten vielfältigen Band, nicht zuletzt wegen der Frauen selbst von der Umweltmedizinerin über eine Sekretärin der F.A.Z bis hin zu Gloria von Thurn und Taxis.
„Eigentlich müssten mir die Feministinnen die Füße küssen“
Autor: Timo Frasch
ISBN 978-3-96251-212-5
Im Verlag der F.A.Z erschienen
Timo Frasch wurde 1979 in Illertissen geboren. Nach dem Abitur in Weißenhorn und dem Zivildienst in Freiburg begann er 1999 in Würzburg ein Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Romanistik. Nach zwei Semestern an der Universidad Panamericana in Mexiko-Stadt schloss er 2005 sein Studium in Bonn mit einer – inzwischen als Buch veröffentlichten – Arbeit über Carl Schmitt ab. Von 2006 bis 2008 volontierte er in der Nachrichtenredaktion der F.A.Z., seither ist er politischer Redakteur mit Stationen in der Sonntagszeitung und als Korrespondent in Wiesbaden. Seit Februar 2018 berichtet er aus München über das politische Geschehen in Bayern. Timo Frasch gewann 2011 den Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis für Essayistik, 2017 war er für ein Interview mit Wolf Wondratschek übers Rauchen für den Deutschen Reporterpreis nominiert. Er ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn.