Der Maler und Bildhauer GEORG BASELITZ gehört zu den ganz Großen seiner Generation. Zum ersten Mal hat der zurückgezogen lebende Künstler seine Ateliers in Deutschland und Italien für Filmaufnahmen geöffnet. Die Regisseurin Evelyn Schels begleitet ihn über mehrere Jahre aus nächster Nähe. Sie darf in seinem Familienalbum blättern, befragt seine Ehefrau sowie seine Weggefährten und zeigt in diesem fesselnden Film die wichtigsten Stationen seines Lebens.
Baselitz gewährt uns einen einmaligen Einblick in das Zentrum seines künstlerischen Schaffens. Der Zuschauer darf so den sensiblen Entstehungsphasen seiner Bilder und Skulpturen beiwohnen, beobachtet seine Pinselstriche, sieht ihn mal zweifelnd, dann euphorisch und entdeckt neben dem Künstler Baselitz auch den Menschen.
Der Dokumentarfilm GEORG BASELITZ ist ein aufmerksames, sehr privates und differenziertes Portrait über den Jahrhundertkünstler, dessen Leben und Werk untrennbar mit der deutschen Geschichte verknüpft sind. Ein Künstler, der die Kunstwelt buchstäblich auf den Kopf stellte und der sich auch mit 75 Jahren immer wieder neu erfindet.
Nach ihrem ersten Portrait über Georg Baselitz im Jahr 2004 ist eine Freundschaft zwischen der Regisseurin Evelyn Schels und dem Ehepaar Baselitz entstanden. Diese jahrelange Verbundenheit und das dadurch entstandene Vertrauen zwischen dem Künstler und der Regisseurin bilden die Basis für ein intimes Bild des Künstlers. Über einen Zeitraum von drei Jahren begleitete Schels Baselitz nach New York, Paris, Berlin sowie in seine Ateliers in Italien und am Ammersee – nie zuvor hat man Baselitz so nah, authentisch und unmittelbar erleben dürfen.
ÜBER GEORG BASELITZ
Malerei, die Kunst, Farben mit einem Pinsel, ein Holzstiel mit festgebundenen Haaren, auf einer Fläche zu verteilen, ist eine Steinzeittechnik. Ihr Tod wurde schon oft deklariert. Fotografie, Film, Video, Happening und Konzeptkunst sollten sie ablösen. Trotzdem lebt sie und beherrscht den Kunstmarkt. Mit dieser „Steinzeittechnik“ gemalte Bilder sind das teuerste, was der Markt hergibt, besonders wenn sie aus Deutschland kommen. Maler aus dem Osten, die aus Dresden, Leipzig, Deutsch-Baselitz oder Liberec kamen und im Westen reüssierten, begründeten den Welterfolg deutscher Malerei vor 30 Jahren. Einer der ersten war Hans Georg Kern, der sich seit 1961 nach seinem Heimatdorf Baselitz nennt. Er malte große heftige Bilder, die Aufsehen erregten, weil darin alles auf dem Kopf steht, zumindest in seinen großen Leinwänden seit 1969.
Baselitz hat Malerei 1956 an der Ostberliner Kunsthochschule bei Herbert Behrens-Hangeler und Walter Womacka studiert. Als er wegen „gesellschaftlicher Unreife“ ausgeschlossen wurde, ging er an die Westberliner Akademie zu Hann Trier. Aber die damals im Westen aktuelle Malerei des Action Painting und des Informel reichte ihm so wenig wie der sozialistische Realismus des Ostens. Er fühlte sich als Außenseiter „im Eimer“ und dies war der Titel des Bildes „Die große Nacht im Eimer“ (250x180cm), mit dem er 1962 berühmt wurde. Es wurde damals von der Polizei als „unsittlich“ aus der Galerie Werner & Katz in Berlin beschlagnahmt. Heute hängt es in Köln im Museum Ludwig.
Im selben Jahr heiratete Georg Baselitz die Künstlerin Elke Kretzschmar; der erste Sohn kam zur Welt. 1965 ging der Künstler auf ein halbes Jahr als Stipendiat der Villa Romana nach Florenz. Danach begann er mit großen Bildern von „Helden“, überlebensgroßen zerrissenen Mannsbildern, die jede Heldenverehrung absurd erscheinen lassen. Darauf folgten Landschaftsbilder in Erinnerung an die Wälder der Lausitz, darunter 1969 „Der Wald auf dem Kopf“. Dabei erprobte er zum ersten Mal eine neue Sicht auf Thema und Bild. Das Bild soll nicht mit seinem Modell verglichen, sondern als Bild wahrgenommen werden; es ist Kunst, nicht Natur. Diese Umkehrung, von vielen als Markenzeichen des Künstlers missverstanden, öffnete einen neuen Blick auf alte und, wie es schien, ausgeschöpfte Aufgaben: das Portrait, den Akt, die Landschaft, Vögel, Stillleben.
Sein Stillleben mit Flaschen und Früchten, das er 1977 auf der Documenta zeigte (250x200cm) in schwarz, weiß blau und rot, ist durchaus nicht still sondern dröhnt und droht wie ein Weltuntergang. Die hinter Äpfeln ruhig stehende Flasche kommt im Bild als dunkle Form von oben herunter wie ein Tornado. Das Bild ist im Stehen gemalt; unten läuft die schwarze Farbe in vielen Rinnsalen weg. Heute malt Baselitz meist auf dem Boden, trampelt mit farbverklecksten Filzpantoffeln auf seinen Leinwänden herum und trägt immer noch die Farben dick auf, sperrt sie nie in feste Umrisse ein. Diese offene Malweise lässt auch die Deutung offen. Der Betrachter sieht die Spuren des Pinsels oder der Hände, sieht die Übermalungen, sieht wie das Bild gemacht ist, das Bild als Bild, nicht als Thema. Die Farben sind davon befreit, Gegenstände zu kolorieren; das ist das Erbe der abstrakten Malerei von Kandinsky, Jackson Pollock und vielen anderen. Aber zugleich hält der Maler am Blick auf die Welt und den Menschen fest; das ist wiederum das Erbe der Neuen Sachlichkeit, Max Beckmanns und des sozialistischen Realismus.
1966-75 lebte die Familie Baselitz in Rheinhessen, danach in Schloss Derneburg, einem ehemaligen Zisterzienserkloster bei Hildesheim, von dort zogen sie 2006 nach Bayern. Seit 1976 war Georg Baselitz Professor an der Akademie in Karlsruhe, seit 1983 in Berlin. 1972, 1977, 1982 wurden seine Bilder auf der Documenta in Kassel gezeigt, 1975 auch in Sao Paolo, 1981 zum ersten Mal in New York. Auf der Biennale in Venedig 1980 stellte sich Baselitz als Bildhauer mit großen bemalten Holzskulpturen vor. Der Weltruhm begann. Heute besitzt jede bedeutende Kunstsammlung auf der Welt mindestens einen Baselitz. Aber der Künstler stellt seinen Stil, sein Konzept immer aufs Neue in Frage. So, wenn er sich in einem „Remix“ seine alten Werke wieder vornimmt, wenn er sie schwarz übermalt, wenn er wieder einen neuen Baumstamm zu einer Figur zu recht sägt und bemalt.
Baselitz, ein Neuer Wilder?
Das Schlagwort von „den Neuen Wilden“ hat 1979 der Aachener Museumsdirektor Wolfgang Becker mit dem Titel einer Ausstellung im Ludwig Forum geprägt. Museumsleute müssen aufräumen, Künstler wehren sich lebenslänglich dagegen, einsortiert, in Schubladen gesteckt zu werden. „Neue Wilde“, das bezeichnet eine Malerei, die mit großen Gesten politische und gesellschaftliche Tabus angreift, die Sozialkritik mit Sinnlichkeit verbindet. 1979 war Baselitz schon drei Jahre Professor und Schlossherr zu Derneburg mit Zweitwohnsitz in Itallien. Er, Penck und Immendorf haben den Jungen Wilden den Weg gezeigt, waren ihre Vorläufer.
Seit 2006 lebt Georg Baselitz am Ammersee, der von den Alpen und den beiden Klosterkirchen von Andechs und Diessen überragt wird. Nach Süden breitet sich eine von kunstreichen Klosterkirchen bestimmte Landschaft aus, der Pfaffenwinkel. Er wurde durch die Maler Franz Marc und Wassily Kandinsky in Benediktbeuern und Murnau auch zum Land des Blauen Reiter. Diese Kunstlandschaft hat mit Georg Baselitz (und seinem von Herzog und de Meuron erbauten Wohnhaus mit Atelier) einen neuen Stern gewonnen. Baselitz gelang es wie Gerhard Richter und einigen anderen deutschen Malern, den Erfolg von Peter Paul Rubens oder der Münchner Malerfürsten Franz von Lenbach und Franz von
Stuck zu wiederholen. Sie erhielten zahlreiche Auszeichnungen und sehen ihr Werk immer wieder gedruckt und weithin gehandelt. Die Millionenpreise, die nicht die Künstler sondern die Kunsthändler mit ihren Werken erzielen, sind ein Beweis, dass unsere Gesellschaft immer noch Kunst braucht und dass die Malerei alles andere als tot ist.
Wenn das technische Medium Film der uralten Handarbeit Malerei (und Bildhauerei) nachgeht und sich herausragenden Malern widmet, wird es interessant, weil die eine Sichtweise die andere darstellt und so Dinge zeigt, die wir sonst übersehen, sie wird zu einer Schule des Sehens.
Kinostart: 11. April 2013
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