Foxcatcher

Bennett Millers jüngste Regiearbeit „Foxcatcher“ basiert auf einer wahren Begebenheit und transformiert diese in eine verstörende Parabel über den inneren Zustand Amerikas.
Mark Schultz hat 1984 bei den olympischen Spielen in Los Angeles eine Goldmedaille im Ringen gewonnen. Trotz seiner sportlichen Erfolge ist er jedoch nie so richtig aus dem Schatten seines älteren Bruders Dave herausgetreten, der ebenfalls Träger olympischen Goldes ist. Beide verbindet eine komplizierte Beziehung, in der man strittige Fragen nicht ausdiskutiert, sondern im Training körperlich auslebt. Eine frühe Szene des Films sagt eigentlich schon alles über die beiden. Mark und Dave trainieren da in einer heruntergekommenen Turnhalle und wirken wie zwei überdimensionierte junge Hunde, die voller Übermut miteinander balgen. Dave, der ältere der beiden, weiß offenbar, wo es langgeht, hier auf der Matte wie im richtigen Leben, wo er dem Bruder Freund, Mentor und Vater zugleich gewesen ist, den beide durch die frühe Scheidung der Eltern verloren haben. Mark, der jüngere, bewegt sich nervös, verpasst seinem Bruder, absichtlich oder aus Ungeschick, mit einem Kopfstoß eine blutige Nase, doch es ist der geduldige, besonnene, stets wachsame Dave, der gewinnt und seinem Bruder anschließend Mut macht.

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Dave spricht seinem Bruder Mark Mut zu. ©Fair Hill LLC

Trotz seiner sportlichen Erfolge ist Mark Schultz im Grunde ein Verlierer, an dem die Verheißungen der „Reaganomics“ der 80er Jahre („It’s morning again in America!“) vorbeigegangen sind. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass er sich zu dem seltsamen John E. du Pont hingezogen fühlt, einem exzentrischen Multimillionär, der ihn mit Lob überhäuft und einlädt, sich auf seinem herrschaftlichen Anwesen „Foxcatcher“ auf die olympischen Spiele in Seoul vorzubereiten. Der Sprössling der du Pont-Dynastie, die einst mit der Produktion von Schießpulver ein Riesenvermögen anhäufte und ein Leben im Stile des englischen Landadels führte, will ein US-Ringerteam aufbauen, das den Sowjets Paroli bietet und die nationale Größe Amerikas wiederherstellt.
Als du Pont zum ersten Mal im Bild erscheint (er stattet Mark spät nachts einen Besuch in seinem Quartier ab), enthält Miller dem Zuschauer die mit Spannung erwartete Nahaufnahme zunächst vor, die erlauben würde, das Gesicht des seltsamen Sponsors zu sehen. Stattdessen wird die Figur du Ponts für ein paar Minuten im Halbdunkeln auf Distanz gehalten, wodurch sie unheimlich, unergründlich und kalt wirkt. Die große Höckernase du Ponts, das verformte Kinn, seine fahle, amphibische Haut, die das anschließende Close-up zu erkennen gibt, irritieren, doch die wahren Deformationen du Ponts wurzeln tief im Verborgenen. Wenn er spricht, leiert er seine Worte mechanisch wie von einem Phonographen handgekurbelt herunter. Auch ergibt das Angebot, das er Mark unterbreitet, irgendwie keinen rechten Sinn, man spürt eine quälende Diskrepanz zwischen seinen Worten und den nicht ausgesprochenen Absichten.

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Das Angebot, das du Pont Mark unterbreitet, ergibt irgendwie keinen rechten Sinn. ©Fair Hill LLC

Und du Ponts gelegentlichen Demonstrationen seiner Fähigkeiten als Wrestling Coach sind lächerlich und halten keiner ernsthaften Prüfung stand, auch wenn er sich den Sieg in einer Seniorenmeisterschaft der Ringer mit viel Geld kauft. Dennoch heuert Mark augenblicklich an, weil er sich geschmeichelt fühlt, weil ihn die großzügigen Trainingsbedingungen beeindrucken und weil er die Chance sieht, auf eigenen Beinen zu stehen. So trennen sich zum ersten Mal die Wege der beiden Brüder vorübergehend.

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Doch es gibt ein Problem. Du Pont möchte unbedingt Dave dabei haben, doch der lässt sich nicht kaufen.©Fair Hill LLC

Doch es gibt ein Problem. Du Pont möchte unbedingt Dave dabei haben, selbst wenn der ältere Bruder sich mit seiner Familie in Philadelphia niedergelassen hat und seiner Frau und den beiden Kindern die geordneten Verhältnisse bieten möchte, die er selbst vermisste. „Wieviel Geld will er?“, fragt du Pont einen konsternierten Mark. „Man kann Dave nicht kaufen“, antwortet der stämmige und ernste Jungathlet. Dann gibt es eine lange Pause, in der du Pont versucht, die Absage zu verdauen. Auch wenn er Dave einstweilen nicht bekommt, kann er Mark kaufen und formt diesen anschließend zu seinem Spielzeug um, mit dem er machen kann, was er will.
Und so nimmt für Mark Schultz eine verhängnisvolle Abwärtsspirale ihren Lauf. Die beiden schnupfen Kokain zusammen, besuchen Galadinner der vornehmen Gesellschaft, wo Mark die intellektuelle Brillanz seines Meisters in von du Ponts eigens vorbereiteten Redetexten überschwänglich preist, und ringen nach Einbruch der Dunkelheit in der Bibliothek du Ponts in gespenstigen, goyaesken Umarmungen, die ein völlig anderes Bild vom Ringsport vermitteln als jenes, fast zärtliche brüderliche Gerangel der Anfangsszenen. Und einmal mehr kehrt Millers Bildersprache zur Hunde-Symbolik zurück, die einen freilich den Magen umdrehen lässt: Draußen auf der Terrasse des „Foxcatcher“-Herrenhauses sehen wir Mark wie einen dressierten treuen Hund mit angezogenen Hinterläufen und aufgeplusterten, gebleichten Haaren vor du Pont knien. Welch ein Absturz!

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Der Egomane du Pont bastelt an seiner Legende.©Fair Hill LLC

Was du Pont freilich insgeheim zu seinem Tun antreibt, ist der Bau am eigenen Denkmal, an einer Legende, die in der Erinnerung der Menschen bleiben soll, und mit der er seiner kühlen, dominanten Mutter beweisen kann, dass auch er, den sie für einen erbärmlichen Versager hält, imstande ist, Großes zu leisten, und den großen Namen der du Ponts zu Recht trägt. Die alte Dame ist eine Norma Louise Bates aus Hitchcocks „Psycho“ ähnliche Figur, die man meistens aus der Ferne und nur flüchtig sieht, deren Gegenwart jedoch alles, was ihr Sohn tut, düster bis zum unheilvollen Ende überschattet.
Fazit: „Foxcatcher“ ist eine zu tiefst verstörende, düstere Parabel über die innere Funktionsweise der USA, wo Reichtum und Vermögen die Meritokratie fest im Würgegriff haben und materieller Erfolg fälschlicherweise mit moralischer Rechtschaffenheit gleichgesetzt wird. „Foxcatcher“ ist ein kalter, feindseliger Film. Die bedrohliche Atmosphäre und das unheilvolle Beziehungsgeflecht, in das die Protagonisten verwoben sind, deuten schon frühzeitig ein schockierendes, blutiges Ende an, das gleichwohl im Rückblick als eine kalte und folgerichtige Entwicklung erscheint. Der atemberaubenden Kameraarbeit Greg Frasers gelingen Bilder, die von eisigem Frost umsäumt zu sein scheinen und symbolisch die Atmosphäre des Films einfangen. Channing Tatum und Mark Ruffalo brillieren als die ungleichen Brüder Mark und Dave Schultz und auch Steve Carells Darstellung des gonzoartigen John du Pont ist schlicht überragend. Unbedingt ansehen!

Ab 5.2.2015 in den Kinos

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Standardbild
Hans Kaltwasser
Artikel: 430

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