Filmtipps – ZONE und ARCHITECTON

Zwei Filme möchte wir heute empfehlen, die den Blick für das Ungewöhnliche schärfen und auf ihre je eigene Weise die Realität abbilden – ZONE und ARCHITECTON.

Alle Filme sind persönlich, aber dieser Film ist eine physische Notwendigkeit. Ich möchte über die Geschichte einer Landschaft erzählen, die ein Gedächtnis hat. Ich möchte eine Sprache für
das Schweigen finden. Ich möchte von den Körpern erzählen. In denen Trauer, Schmerz, Sehnsucht und Widerstand wohnen. So die Regisseurin des Films Zone von Christina Friedrich, die ihn auf der Grundlage ihres eigenen Romans „Keller“ gedreht hat.

Es ist ein ungewöhnlicher Film, der keine durchgehende Handlung besitzt. Wie ein roter Faden zieht sich eine Person (Kea Krassau) durch die Filmlandschaft, die zunächst als Mädchen, später als junge Frau erscheint. Die erste Szene zeigt das Mädchen Steine zu einem Kreis verbindend. Ihre Mutter erkrankt und nun ist für sie nichts mehr wie zuvor. Das Mädchen flüchtet in eine Traumwelt und wir werden Zeugen vieler Szenenwechsel, die sie in der Schule oder bei den Pionieren zeigt. Manchmal ähneln die Szenen Choreografien eines Pina Bausch Balletts. Assoziationen lösen sich gegenseitig ab und sind aus der Sicht des Mädchens und später der jungen Frau zu sehen, deren Realität in die Vergangenheit wechseln und verschwimmen. Widersprüchliche Emotionen werden von beängstigenden, aber auch komischen Situationen hervorgerufen.

Zone (2024) von Christina Friedrich ©madonnenwerk

„Zone“ ist ein Spiel mit der Zeit. Aus gutem Grund, denn das, was war, kann wieder passieren. Die Theaterregisseurin und Filmemacherin ist im thüringischen Nordhausen aufgewachsen, nicht weit von der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Mittelbau Dora. Der Film weist mit einem Text auf die Opfer des NS-Lagers hin und gedenkt der Zwangsarbeiter, die in einem unterirdischen Bergwerk unter dem Kalkfelsen Kohnstein, die V1- und V2-Waffen für die deutsche Rüstungsindustrie bauen.

Eine beeindruckende Filmmusik unterstreicht die Filmszenen, die verstörend, absurd, komisch oder warmherzig sind. Am Ende schließt sich der Kreis, denn wieder sind es Steine. die die letzte Szene bestimmen. Offen für Interpretationen und nachdenklich stimmend ist „Zone“ eine ganz ungewöhnlich filmische Reise, die Zuschauer*innen beeindruckt hinterlassen wird.

Jetzt läuft Zone in den Kinos

Architecton – ein Film von Victor Kossakovsky

„Saxa loquntur“ – Die Steine sprechen – so lautete die alte Losung der Geologen und Archäologen. Auch Victor Kossakovsky lässt die Steine sprechen. Hierfür greift der in Berlin lebende russische Dokumentarfilmer in seinem neuen Film ARCHITECTON zu einer gewaltigen Bildersprache, die die Trümmer unserer Existenz zeigt, die verheerende militärische Invasionen, der Zerfall einst mächtiger Imperien und die erschreckenden Folgen von Naturkatastrophen hinterlassen haben. Im Kern geht es dabei um die Sorge wegen der Eingriffe des Menschen in die natürliche Welt zu seinen je eigenen Zwecken, die nicht nur die umliegenden Ökosysteme, sondern auch die nachfolgenden Generationen beeinflussen.

Foto: Neue Visionen Filmverleih

Die exzellente Kameraarbeit des Films ARCHITECTON“ besticht durch ihre eindringliche Hochkontrastfotografie, die die Welt der Steine, die wir in einer natürlichen Einstellung zu sehen glauben, neu erfindet. In den Eröffnungssequenzen sehen wir erschütternde Bilder von zerbombten ukrainischen Wohnblöcken. Ein Symbol für die sinnlose Vergeudung natürlicher Ressourcen, aber auch eine Andeutung, wie zerbrechlich unsere Gebäude und damit das Leben ist, das in ihnen stattfindet. 

An anderer Stelle überfliegt die Drohnenkamera Hochhäuser in der Türkei, die nicht durch menschliche Kräfte, sondern durch das Erdbeben von 2023 zerrissen wurden. Im krassen Gegensatz dazu stehen die antiken Ruinen von Baalbek im Libanon, wo der italienische Architekt Michele De Lucchi zwei steinerne Megalithen bestaunt. Sie sind so riesig in ihrem Ausmaß und präzise in der Formgebung, dass sie kaum von Menschenhand und für die Ewigkeit geschaffen zu sein scheinen.

In der wohl hypnotischsten Sequenz des Films schwebt die Kamera ganz nahe heran, als die Wand eines Steinbruchs plötzlich in Zeitlupe explodiert und sich der Granit in Tausende organisch anmutende Mutationen verwandelt, bis sie sich weit zurückzieht und in der Vogelperspektive alles ins rechte Licht rückt: Riesige Blöcke, aus ihrem geologischen Schlaf befreit, taumeln in einem zäh fließenden Strom ihrer industriellen Verwertung entgegen. Auch dieser Film beeindruckt, stimmt nachdenklich und wirft die Frage auf, wo wir uns hinbewegen.

Architecton jetzt in den Kinos zu sehen

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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