FilmTipp – Vermiglio

Vermiglio, ein kleines, hoch liegendes Dorf in den italienischen Alpen, an einer Straße gelegen, die von Trient zum Tonalepass führt. 1944 ist der Krieg noch nicht beendet. Doch hier oben besitzt er wenig Kraft und ist nur bemerkbar, weil die Männer zum Kriegsdienst verpflichtet werden und bei der täglichen Arbeit oben im Dorf fehlen. Es scheint, als ob der Tag sich zwischen der Küche, in der die Milch zum Frühstück bereitsteht, Kühen im Stall, dem stillen Wald und der Kirche bewegt und ein karges, atmosphärisches Licht auf das Leben einer Familie inmitten der atemberaubenden Schönheit der Trentiner Berge wirft.

Eine bewegende und facettenreiche Familiengeschichte

Die Geschwister Lucia, Ada und Flavia, die Töchter des Dorflehrers Cesare, und die vier Söhne lernen und erfahren unter seinem strengen Blick die von ihm zugeschnittene Welt außerhalb des Dorfs kennen, in der auch die Musik von Vivaldi einen Platz bekommt. Die Geschwister sind wichtig füreinander, denn die Eltern haben wenig Zeit, sich um sie zu kümmern. Am Abend in ihrem Zimmer teilen die Schwestern miteinander, was sie beschäftigt oder unerklärlich für sie ist. Ängste der kleineren Geschwister werden von den größeren aufgefangen.

Pietro (Giuseppe De Domenico) kommt als Desserteuer ins Dorf

Stoff zum Träumen erhalten sie, als Pietro, ein junger Deserteur aus Sizilien, auf der Suche nach Unterschlupf auftaucht. Die älteste Tochter Lucia ist berührt und verspürt erstmals Gefühle für einen jungen Mann. Abends, wenn die Männer in der kleinen Dorfkneipe zusammensitzen, ist er ebenfalls Gesprächsthema. Vielen passt es nicht, dass er hier oben ist, während andere, die den Krieg ebenfalls nicht wollten, kämpfen müssen.

Die unangepasste Virginia dagegen erobert die Gefühlswelt der jüngeren Schwester Ada und öffnet den engen Raum, in dem Ada lebt, für eine Weile, bis Virginia nach Chile verschwindet. Die Familie verliert das jüngste Kind an den Keuchhusten.

Vermiglio

Lucias Liebe wird erwidert und Pietro und sie heiraten, als sie schwanger ist. Das ganze Dorf feiert die Hochzeit nicht ahnend, dass Pietro nach Sizilien zurück muss und ebenfalls das Dorf verlässt. Währenddessen ist der Sommer vorbei und der Herbst kündigt sich an. Die Jahreszeiten vollenden sich, ein Kind wird geboren und Lucia findet einen Weg, damit umzugehen, der sie eine weite Reise machen lässt.

Lucia (Martina Scrinzi) mit ihrem Kind © Piffl Medien

Im Rhythmus der vier Jahreszeiten spielt sich der wunderbare und bewegende Film Vermiglio ab, der die Geschichte einer Familie erzählt, die fernab des Stadtlebens an einem zeitlichen Wendepunkt steht. Mit viel Empathie und Feingefühl für ihre Figuren und doch ehrlich die damalige Zeit und Umstände abbildend, gelingt der Regisseurin Maura Delpero ein ausgesprochen facettenreiches, grandioses Familienepos.

Es nimmt die einzelnen Mitglieder in den Blick und sieht sie dennoch als Einheit. Fantastisch auch die Kamera, die immer das richtige Tempo hat und zauberhafte Bilder erzeugt, und nicht zuletzt die Schauspieler*innen, die so überzeugend ihre Rollen spielen. Das Hier und Jetzt verschwindet und der Film lässt in eine andere Welt eintauchen. Nicht nur Cineasten sollten Vermiglio unbedingt sehen.

Fotos: © Piffl Medien

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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