Filmtipp: Philomena oder die Verwandlung von Steve Coogan

Eine Reise, die aufrüttelt, amüsiert, packt und zutiefst berührt.

Von Urs Hösli

Zum Glück für ein Mal kein verhunzter deutscher Titel. Philomena ist und bleibt Philomena und muss so sein, ist es doch der Name unserer überaus sympatischen, wenn auch naiven, Hauptfigur.  

Eine ältere Frau (Judi Dench) erzählt ihrer einzigen Tochter von einem Jungen, der an jenem Tag wo die ganze Geschichte ins Rollen kommt 50 Jahre alt wird. Es ist ihr Sohn, den sie seit 47 Jahren nicht mehr gesehen hat, weil die Nonnen im irischen Kloster ihren Jungen an ein amerikanisches Paar verkauft haben, damals im Kloster eine gängige Praxis. Da Philomena auf dem Jahrmarkt von einem jungen Mann schwanger wurde und das Kind unehelich gezeugt wurde, müsse sie ihr Leben lang dafür büssen.

Nach 50 Jahren bricht sie ihr Schweigen und zufällig hört ihre Tochter an einem Bankett ein Gespräch mit den gefallenen News-Korrespondenten Martin Sixsmith (Steve Coogan) mit und versucht ihn dazu zu überreden sich dieser Geschichte anzunehmen. In seiner englisch-snobbistischen Art hat er fast nur einen abfälligen Kommentar übrig (immerhin schreibt er Bücher über russische Geschichte) doch sein Leben ist ihm zur Hölle geworden seit er von der Labour Party „entfernt“ wurde.

Widerwillig meldet er sich nun trotzdem und eine Reise beginnt welche den Zuschauer aufrüttelt, amüsiert, packt und zutiefst berührt.

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Die Rahmenhandlung mag wenig originell erscheinen, doch die Geheimnisse welche sich dahinter verbergen sind der Stoff aus dem grosse Filme gemacht werden, wenn sie in den richtigen Händen landen. Die Hände von Steve Coogan (eher aus leichtgewichtigen Filmen und komödiantischen Rollen, zB. als Phileas Fog im Jackie-Chan „In 80 Tagen um die Welt“ wo er den Film alleine einfach nicht retten konnte) waren Gold wert. Das Drehbuch, welches er zusammen mit Jeff Pope verfasst hat, ist so voller natürlicher, schlagfertiger und berührender Dialoge dass es vielleicht nicht einmal Judi Dench benötigt hätte um Philomena zum Erfolg zu führen. Aber was für ein Glück, dass sie trotz allem da ist, denn obwohl sie diese Rolle wohl ohne viel Aufwand aus ihrem Hut zaubern kann so verleiht sie dieser älteren Frau eine unglaubliche Würde. Immer wieder bringt sie den Zuschauer mit unfassbarer Naivität zum Schmunzeln, nur um danach den zynischen Sixsmith mit scharfen Kommentaren in die Schranken zu weisen. Sie wird ihm einiges beibringen…

Coogan und Dench sind ein Traumpaar und obwohl er durchaus auch kommödiantische Züge in die Rolle einbringt, ist er oft erstaunlich feinfühlig, genauso wie sein Drehbuch.

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Über die Geschichte möchte ich nicht mehr verraten denn jeder solllte sich selbst überraschen lassen und herausfinden wie er auf die präsentierten Tatsachen reagiert, welche auf Sixsmiths Buch beruhen, welches sich wiederum auf wahre Gegebenheiten bezieht.

Ohne das Herz am rechten Fleck, ohne die meisterhafte Inszenierung des grossen Stephen Frears (Dirty pretty things, The Queen, High Fidelity) und ohne die Beschwingtheit der Dialoge hätte dies ein wahrlich trauriges Stück Film werden können doch in guter britischer Tradition ist jede harte Tatsache auch Anlass für etwas Licht und Humor. Die einzige „Figur“ welche am Ende schrecklich zerpflückt und angeklagt in der Ecke steht, ist die Katholische Kirche. Mit ihr gehen Coogan und Frears hart ins Gericht, doch es benötigt die Weisheit einer alten Dame um einen kleinen Sonnenstrahl auf die eisige Landschaft des Klosters fallen zu lassen.

Und es zeugt von Klasse dass es die Szene am Flughafen vor dem Abflug in die USA in einer Länge zu sehen gibt welche in Hollywood wohl nach ein paar Sätzen geschnitten worden wäre…

Sehr empfohlen!

 

Photos: The Weinstein Company

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UrsHoesli
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