Von allen ihren im Laufe ihrer fast 40-jährigen Karriere gut ausgewählten Rollen ist diese wahrscheinlich die beste: Kate Winslet spielt in DIE FOTOGRAFIN Lee Miller, ein ehemaliges Vogue-Modell, das zu einer legendären Fotografin des Zweiten Weltkriegs wurde.
Das Biopic, das am vergangenen Donnerstag in die deutschen Kinos gekommen ist, hat die Britin langjährig und akribisch vorbereitet. Kate Winslet hat den Film auch produziert. Er basiert auf der Biografie von Antony Penrose über seine Mutter „The Lives of Lee Miller“. Nicht umsonst heißt es im Titel „Die Leben der Lee Miller“. Denn Miller hatte viele. In New York machte sie zunächst Karriere als gefeiertes Supermodell. In Paris verkehrte sie als Muse in den Kreisen der Surrealisten, wechselte später hinter die Kamera und machte Kunstfotografie mit Man Ray. Später gründete sie ihr eigenes Fotostudio in New York, lebte zeitweise mit ihrem Ehemann in Ägypten. In ihren letzten Jahren zog sie nach Sussex und wurde gar eine berühmte Gourmetköchin.
Klugerweise konzentriert sich der Film nur auf eines ihrer vielfältigen Leben: ihre fast zufällige Karriere als Kriegsfotografin während des Zweiten Weltkriegs. Ihr gelangen eindrucksvolle Bilder von der Kriegsfront, vom „London Blitz“ und von der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau, die noch heute legendären Status haben.
Zu Beginn des Films werden wir in ein schweres Gefecht hineingezogen: Wir sehen Lee Miller, wie sie in Armeeuniform, mit einem Helm auf dem Kopf, die Kamera um den Hals inmitten von Explosionen um sie herum Deckung sucht. Es ist ein dramatischer Anfang, der uns sagen will: Hier ist eine Frau, die alles tun wird, um die Bilder zu bekommen, die sie haben will.
In einer Rückblende erleben wir wenig später, wie Miller einige Jahre vor dem Krieg unbeschwert mit Freunden in Frankreich ihr Leben genießt. Hier lernt sie ihren späteren Ehemann Roland (Alexander Skarsgård) kennen, einen charmanten, weitgereisten Kunstsammler. Sie verlieben sich ineinander und gehen nach London. Als die Auswirkungen von Hitlers Machtübernahme immer näher rücken, sieht sich Miller gezwungen, sich einzumischen. Nachdem sie einen Job bei der „British Vogue“ bekommen hat, reist sie an die Front und fängt den Krieg aus einer einzigartigen Perspektive ein.
Winslet ist schlicht beeindruckend. Ihre Lee Miller ist eine rastlose, kämpferische, unabhängige Frau, eine kraftvolle Erscheinung, mürrisch und selbstbewusst, sexy und verletzlich zugleich. Als Figur bleibt sie aber letztlich so rätselhaft, wie es die Frau wohl auch im wirklichen Leben war. Im Kern geht DIE FOTOGRAFIN der Frage nach, warum Miller unbedingt das Europa des Krieges und seine Abgründe aus der Nähe sehen wollte.
Der Film ist vollgepackt mit bewegenden Nachstellungen von einigen von Millers berühmtesten Fotos, die das Können der Regisseurin Ellen Kuras als Oscar-nominierte Kamerafrau Ellen Kurras (DIE FOTOGRAFIN ist ihr Regiedebüt) unter Beweis stellen. In einer raucherfüllten Straße hängt ein Schild an einem Baum, auf dem „nicht explodierte Bombe“ steht. Nach einem Luftangriff sehen wir, wie Miller einige mutige Fotomodelle anweist, in einem Luftschutzkeller für ihr berühmtes Porträt „Feuermasken“ zu posieren. Einer Frau, die der Nazi-Kollaboration beschuldigt wird, werden in aller Öffentlichkeit die Haare abgeschoren. Und wir sehen übereinander gestapelte Leichen in einem gerade befreiten Konzentrationslager – erschütternde Bilder, die Miller mit ihrer kleinen Kamera für die Nachwelt festgehalten hat und die es schwer machen, nicht erschüttert zu sein.
Es ist ein wenig schade, dass den Nebenfiguren nicht dieselbe Liebe zum Detail zuteil wird. Ihr Kollege, der jüdisch-amerikanische Fotojournalist David E. Sherman (Andy Samberg), der mit Miller im Krieg zusammenarbeitete und ihr berühmtes Porträt in Hitlers Badewanne, aufnahm, ist fast eine Randfigur. Die erschütternde Geschichte der Solange d’Ayen (Marion Cotillard), Millers traumatisierte Freundin aus der Zeit, als sie sich in Paris in surrealistischen Kreisen herumtrieb, fühlt sich wie ein künstlicher Anhang an. Und auch ihre Beziehung zu ihrem Ehemann Roland, der eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte, wirkt ein wenig halbherzig.
All dies sind freilich Petitessen, die diesem großartigen Film und der exzellenten Leistung seiner hervorragenden Darsteller*innen nichts anhaben können.