„Je weniger in meinen Filmen – um es mit den Worten meines Vaters zu sagen – gebumst wird, desto besser finden es meine Eltern.“
Als Sohn türkischer Einwanderer geboren und aufgewachsen in Hamburg, war es nicht einfach, sich durch zu setzen: „mach mal was vernünftiges!“, hiess es. „Kurz und Schmerzlos“, seinen ersten Langspielfilm (1998) konnte er bereits im Alter von 20 Jahren verkaufen. „Und sobald ich mit Film Geld verdienen konnte, war das Thema vom Tisch“.
[su_youtube url=“http://youtu.be/6g6C_gaju0M“ width=“480″ height=“320″]
Gibt es ‚das Kino von Fatih Akin’?
„Ich bin mir dessen nicht bewusst was den ‚Stil oder die Handschrift von Fatih Akin’ ausmacht“ sagt Akin, „der Internationale Erfolg im Kunstfilm – was auch immer das genau ist-„, hat Akin in eine bestimmten Richtung gedrängt. Von so mancher Seite als Vertreter des ‚cinéma de métissage’ (Kino der doppelten Kulturen) gefeiert, wurde Akin dazu gedrängt, seine hybride Identität – Deutsch Türkisch – auch gegen außen zu repräsentieren. Besonders in den prämierten ersten zwei Teilen seiner „Liebe, Tod und Teufel“ Trilogie, „Gegen die Wand“ und „Auf der Anderen Seite“, manifestiert sich das konfliktgeladene Zusammentreffen zweier Kulturräume.
Akin bewegt sich in ihm sehr vertrauten Räumen. Das ermöglicht einen direkten unbeschönigenden Blick auf eine sehr real anmutende Wirklichkeit des Kinos.
Fatih Akin, das ist nicht nur Arthouse Drama. Es ist auch Komödie (Soul Kitchen), Romanze (Im Juli ) und Cinema Paradiso à la Akin (Solino).
Lieber als im Bereich des Arthouse Drama zu bleiben, möchte Fatih Akin experimentieren. Das vielseitige Schaffen beispielsweise eines Steven Soderbergh inspiriere und ermutige ihn, immer weiter neue Genres ausprobieren und andere Richtungen einzuschlagen.
„Ich mag Abenteuerfilme und Western sehr gerne, sie haben mich sozialisiert.“
Die Filme des New Hollywood, betont Akin immer wieder, haben seine Bildsprache geprägt. So wird bei „The Cut“ in Cinemascope (Breitbildformat) gedreht. Immer wieder erinnern die Aufnahmen an Sergio Leone oder Martin Scorsese, versuchen eine epische Stimmung zu transportieren. Akin hat sich mit dem Setting seines Films und jenen mit Begeisterung besprochenen vergangenen Filmen die Messlatte sehr hoch angesetzt. Nach seiner Premiere an den Internationalen Filmfestspielen von Venedig wurde der Film sehr zwiespältig aufgenommen und Akin musste sich herber Kritik stellen. Vielleicht fällt es dem Publikum schwer, wenn ein Regisseur eine andere als die erwartete und verehrte Richtung einschlägt?
„The Cut“ in der morgendlichen 9 Uhr Pressevoführung auf nüchternen Magen, da muss ich erst einmal sagen, harte Kost. „Ja, mit ner Tasse Kaffee vorher ist’s vielleicht besser “ meint Akin. Der Wachheit förderlich, erspart mir Kaffee keineswegs die Thematik, der Akin uns aussetzt. Im Kontext des Völkermordes an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges unter den Herrschern des Osmanischen Reiches, erzählt „The Cut“ die Geschichte des überlebenden Armenischen Christen Nazaret (Tahar Rahim). Im Kampf um sein Überleben, von Hoffnung angetrieben führt seine Reise um die halbe Welt. The Cut ist der erste Spielfilm „eines Sohnes türkischer Eltern“ der den Armenischen Völkermord thematisiert.
Wir konnten Fatih Akin im Rahmen des 10. Zurich Film Festival treffen. Fatih Akin wurde eingeladen, seinen jüngsten Film „The Cut“ in einer Gala Premiere zeigen. Für Film Afcionados und viele junge Filmemacher erbot sich die Gelegenheit in einer rappelvollen Masterclass, den Maestro zu erleben. Dem äußerst redegewandten Mann – der übrigens keinerlei Starallüren zeigte, sondern viel mehr wie der coole Nachbar um die Ecke wirkte, den man immer wieder gern bei einem Bierchen trifft und über Gott und die Welt diskutiert- war das Publikum schon nach wenigen Sekunden verfallen.
Wir fangen direkt mit einer Frage zu Deinem neuen Film an. Du hast Dich für eine klassisch erzählte, fast vereinfachende Heldengeschichte entschieden, warum diese Form?
Warum nicht?
Du hast ein sehr komplexes Thema, willst du versuchen das erzählerisch zu vereinfachen? Ist das einer der Gründe?
Ja, genau bei einem derart komplexen Thema stellt sich die Frage, wie lässt sich das vermitteln. Der Film hat nicht den Anspruch ein Film über den Völkermord an den Armeniern zu sein, -habe ich nie gesagt!
Er kann den Völkermord auch nicht erklären.
Der Film hat den Anspruch ein Abenteuerfilm zu sein, ein Genrefilm. Rein politisch, möchte der Film einen Impuls setzen: der Zuschauer soll sich entweder darüber informieren oder in Ländern wie der Türkei oder Armenien soll man über die Verschiedenheit des Themas oder überhaupt über das Thema diskutieren. Das kann so ein Film. Und ich glaube – vielleicht irre ich mich- je mehr ich es in den Regeln der Populärkultur ansiedle, desto grösser kann die Diskussion sein, denn die Diskussion muss gross sein!
Deiner Hauptfigur gibst du in meinen Augen die Züge einer Mischung aus Odysseus und einem Hiob;In Bezug auf den 3. Teil deiner Trilogie „den Teufel“ interessiert mich vor allem der Hiob, vom Teufel herausgefordert im Glauben und Hoffnung geprüft; Ist das reine Interpretation?
„Es ist Interpretation. Natürlich haben Tahar und ich gewisse Figurenkonzepte besprochen, wir haben uns gewisse Filme angeschaut; ich mochte immer den Film von Pier Paolo Pasolini über Jesus (Anm.d Redaktion: Il vangelo secondo Matteo, P.P. Pasolini 1964 ).
Konkret zum Beispiel haben wir uns genau angeschaut, wie Jesus im Film geht; Auch wie er aussieht, wie das Makeup ist; Es war immer klar, dass es eine biblische Dimension gibt. Viele armenische Überlebensgeschichten ob oral history oder Tagebuch, sind Stoffe mit archaischen Motiven; man hat die Assoziation an grossartige, archaische Verbindungen in der Bibel. Jede Überlebensgeschichte hat etwas Überspitztes, etwas was an ein Wunder grenzt, und das bedient der Film.
– Das gilt übrigens auch für heute, wer heute die Bilder der vertriebenen Jesiden sieht, wie sie auf den Berg gehen um sich zu retten, dann kommen einem Zitate und Bilder hoch, die an das Volk Israel erinnern, das von den Pharaonen flüchtet!
Also stilisier ich etwas nicht völlig über; ich mach nicht etwas völlig Fremdes, sondern etwas was in der Region schon seit Jahrtausenden angesiedelt ist.“
Wie reagierst du auf den Vorwurf, der Film sei zu konstruiert?
Wer das sagt, der weiss nichts über Überlebensgeschichten! Jede Anekdote im Film vom Kranich bis zum Brunnen ist passiert.
Ich habe diese in langer intensiver Recherche gesammelt und am Ende verwoben. Die Zweiteilung des Films kann ich nur unterstreichen: Die Vertreibung und Diaspora (und die Suche nach der Familie) ist eine unmittelbare Folge des Völkermordes, das gehört zusammen und ist erkennbar, wenn man sich mit der Armenischen Geschichte auseinandersetzt. Diese Form der Kritik verdeutlicht nur eines, nämlich, wie weit der Armenische Völkermord vom Bewusstsein entfernt ist.
–Wenn Akin die Geschichte einer Diaspora erzählt, ist es nicht nur eine, wie er sagt, „Verarbeitung meiner Generation des Armenischen Völkermordes“. Zugleich reiht sich die behandelte ‚Vertreibung’ und ‚Suche nach den verlorenen Töchtern’ in die Thematik vergangener Filme ein. Von „Crossing the bridge“ über „Solino“,“Gegen die Wand“ oder „Auf der anderen Seite“, spielt die Dialektik von örtlicher Verschiebung und „Heimat“ immer eine Rolle. Heimat im Sinne von Zugehörigkeit, im Sinne einer Rückkehr zu Kindheitserinnerung. – Oder eben der Ausbruch aus den kulturellen Verhaltensmustern, vererbt durch die Eltern, hin zu einer neuen Identität.
Eines deiner Leitmotive ist die Frage der Identität; meinst du, dass in Europa die Verbindung der Menschen zu einer nationalen, lokalen oder ethnischen Zugehörigkeit immer enger wird oder ob wir, wie in Amerika immer mehr zu einer einheitlichen europäischen Identität finden?
„Das weiss ich nicht, da bin ich zu wenig Soziologe, der eine Prognose geben kann.
Die Nationale Identität in Amerika ist anders, neuer und viel pragmatischer als in Europa. Fakt ist, dass die Globalisierung viele Menschen überfordert, überrennt und ihnen auch Angst macht. Darum tauchen immer wieder Reflexe auf, man sehnt sich zum Nationalen oder noch schlimmer zum Ethnischen zurück. Ob das nun sich ausbreiten wird oder ob das nur die letzten Reflexe sind von der harmonischen Globalisierung, weiss ich nicht.
Wenn man sich das so anschaut im Nordirak und Syrien denkt man eher: Nein.
Wenn man in Zürich auf die Strasse schaut und die bunte Mischung sieht, dann würde ich sagen, eigentlich schon. Aber Leute auf dem Land in der Schweiz sind da vielleicht in ihrer Vorstellung, nicht in ihrer Wirklichkeit überfordert und stimmen dann so ab, wie im Fall der Minarett-Initiative.“
In Deinen Filmen scheinst du daran zu Glauben, dass eine Verschmelzung verschiedener unterschiedlicher Identitäten und Kulturen hin zu etwas neuem möglich ist.
Ja, nicht nur in meinen Filmen auch in meinem alltäglichen Leben, meine Frau ist keine Türkin, meine Frau ist Deutsch –Mexikanerin, ich würde mit einer Türkin nie klar kommen, ne, das wär so wie X und X Chromosom!
Da bist Du doch positiv….
Naja, die Hoffnung stirbt zuletzt! Man muss Hoffnung haben! Man kann bei Filmen auch ein anderes Ende finden – aufreibender, schockierender. Gerade in der Wirklichkeit, die wir erleben, ist so viel Schockierendes, dass ich die Wirklichkeit des Kinos als einen Ort der Hoffnung sehe und als eine Alternative zur Wirklichkeit des Alltages!
Fatih Akin, Wir danken für das Interview!
Über Rhea Plangg: Mit dem Hintergrund Politikwissenschaften und Geschichte, der Passion für das Kino von Kindesbeinen, ist Rhea Plangg beim Film gelandet: Recherchen für Dokumentarfilme, Moderationen, Q&A an Filmfestivals und immer wieder in die Tasten greifen.
Titelphoto: © Vanessa Maas / bombero international