ES Kapitel 2 – Filmkritik von Georgios Giavanoglou

Eines gleich vorweg: Diese Filmkritik zum Film „ES Kapitel 2“ beinhaltet massive Spoiler. Wer also den Film noch nicht gesehen hat, dies aber noch vor hat, liest bitte nicht weiter.
Man wurde gewarnt….In diesem Sinne:

Am vergangenen Freitag war es soweit. Nach fast zwei Jahren Wartezeit saß ich endlich im Kinosaal und war gespannt, den zweiten Teil von Andy Muschietti’s Kinoversion des Stephen King Klassikers zu sehen in der Hoffnung, ähnlich unterhalten zu werden wie beim ersten Teil. Dieser gilt nicht zu Unrecht als Publikums- und Kritikerliebling, war er doch ein gelungenes Potpourri aus 80-Jahre Nostalgie, „Stand By Me“-Flair und kompromisslosem Horror.


Nachdem der Film vorbei war, bestand das Meinungsecho unserer fünfköpfigen Kinotruppe vorwiegend aus den Sätzen: „Teil 1 war um Längen besser“- „Der Film ist viel zu lang“, „Der Film war mehr Komödie als Horror“, „Die Jumpscares sind vorhersehbar und nicht wirklich gruselig gewesen“.
Auch wenn meine Einstellung bezüglich des Films (während des Schauens und auch jetzt im Nachgang) grundsätzlich positiv war und ist, muss man ihm leider einige Probleme attestieren, die teilweise selbstverschuldet, teilweise unumgänglich waren.
Aber erst mal von vorne….

….27 Jahre nach den Geschehnissen von Teil 1 nach vorne, um genau zu sein. Es ist 2016. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen, aus Derry bzw. Maine weggezogen und führen alle mittlerweile ein beruflich erfolgreiches Leben (von „glücklich“ kann man in Anbetracht von Beverly’s Männerwahl nicht sprechen). Eine Sache verbindet jedoch alle: Keiner kann sich an die Geschehnisse von damals in Derry’s Abwasserkanal erinnern. Man sollte meinen, dass der Kampf gegen ein formwandelndes und kinderfressendes Alien in Clownsgestalt sich einem ins Gedächtnis brennen würde. Komischerweise aber hat sich hier bei allen Überlebenden eine ordentliche Gedächtnislücke manifestiert.

Copyright 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. / Brooke Palmer

All dies ändert sich nach einem Anruf von Mike Hanlon, des einzigen Mitglieds des „Clubs der Verlierer“, welches noch immer in Derry die Stellung und nach Hinweisen Ausschau hält, ob Pennywise wieder auf Mampfi-Mördertour geht. Nachdem all dies wieder geschieht, erinnert er den Rest der Gang an ihren Schwur, wieder zurückzukommen und dem Clown ein für alle Mal seine lächerlichen Hasenzähne zu ziehen.

Neuer Film -> Neue Zeitspanne -> Neue Hauptdarsteller

Und hier muss man einmal aufstehen und applaudieren, denn dieser Cast ist einfach hervorragend ausgewählt. Die Ähnlichkeiten zwischen den Darstellern und ihren jüngeren Versionen ist teilweise beängstigend gut. James McAvoy als erwachsener Stotterhans Bill Denbrough – Jessica Chastain als Rotschopf der Gruppe Beverley Marsh – der immer und ewig urkomische Bill Hader als Großmaul Richie Toizier – James Ransonen als Super-Hypochonder und Mammasöhnchen Deluxe Eddie Kaspbrack – Andy Bean als überkorrekter und sensibler Stan Uris – sowie Andy Bean als „war-mal-moppelig-und-ist-nun-megascharf“ Ben Hanscom. Der Fokus liegt diesmal vornehmlich auf dem Dreiergespann Bill, Beverly und Richie. Zwar sind Ben, Eddie und Mike mit von der Partie (Stan nehmen wir mal raus, da dieser tragischerweise selbiges mit sich am Anfang des Films macht), aber sie fallen nicht zwingend durch Überpräsenz auf.


Jessica Chastain – Copyright 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. / Brooke Palmer

Hab ich was vergessen? Ach so, ja. Bob Gray, alias Pennywise der tanzende Clown. Der Weltenfresser. Der Leprakranke. Die Totenlichter aus einem anderen Universum. Und vieeeeeles mehr. Beim ollen Clownskopp hat sich in 27 Jahren einiges an Wut aufgestaut und er holt alles aus
seiner kreativen Monsterkiste raus, was einigermaßen gruselig sein könnte und seinen potenziellen Opfern die Bremsspur in die Buxe zaubert. Es sei denn, er hat ausnahmsweise mal keine Lust aufs Verwandeln und beißt kleinen Mädchen nach etwas Vorgeplänkel direkt den Kopf ab.
„Eingermaßen“ trifft es übrigens ganz gut. Denn nicht alle Formen von Pennywise jagen einem wirklich Angst ein. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das überhaupt immer der Zweck ist. Bitte nicht falsch verstehen: Bill Skarsgard macht einen FANTASTISCHEN Job als Pennywise. Er transportiert mit seiner kindlichen, manipulativen, dann auch zutiefst bösartig, eine solche Bedrohlichkeit in seine Performance, der man sich nicht entziehen kann.

Teilweise hat der Film aber eher einen Sam-Raimi-Vibe. Die eigentlich „gruseligen“ Szenen sind so überdreht und ehrlicherweise stellenweise CGI-technisch eher durschnittlich, dass es erheiternd statt erschreckend rüberkommt. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr, und das formelhafte Verwenden von Jumpscares kann irgendwann ermüden.

Insbesondere das Ende von „Es“ spaltet bis heute die Gemüter der Fans, ob nun das Buch, die TV-Miniserie oder auch diese Kinoversion. Dies wird im Film selbst sogar ganz offen zugegeben, da Bill im Erwachsenenalter ein erfolgreicher Autor von Horrorbüchern ist, deren Ende meistens völliger Murks ist. Ein eindeutiger Seitenhieb auf eine Schwäche Kings, was der Meister in einem Cameoauftritt sogar nochmals selbst augenzwinkernd zugibt.


Überhaupt finden sich viele Fan-Favourites des Buches hier wieder, die nicht immer zwingend notwendig, aber doch nice to have sind: Besagter Angriff auf den armen Adrian Mellon direkt zu Beginn, der Angriff durch die Paul Bunyon Statue, das Ritual von Chüd (wenn auch in sehr abgewandelter Form), sogar die Ankunft von „Es“ vor Millionen von Jahren per Komet-Express, alles gesehen in einer Vision in einer Rauchhütte. Letztlich handelt es sich hier um eine Buchadaption inklusive der Stärken und Schwächen. King selbst sagte, dass ihm beim Schreiben damals am Schluss der Geschichte die Pferde extrem durchgebrannt sind (dank der „Unterstützung“ nicht-legaler Substanzen). Das Ritual von Chüd ist einfach UNMÖGLICH auf Zelluloid zu bannen. Daher hat man sich auf die Quintessenz des Rituals berufen: Nämlich den Sieg über Pennywise aufgrund von Mut und Charakterstärke! NICHT im Flug durch Raum und Zeit, vorbei an einer toten interkosmischen Schildkröte, während man sich gegenseitig in die Zunge beißt und Witze erzählt (ja, steht so alles im Buch drin – vollkommen.coo-coo.).

Pennywise muss anscheinend nur öfters mal heftigst als dummer Pupskopf beleidigt werden, um ihm das Handwerk zu legen. Gut zu wissen!
Auch wenn der Film mit der einzig wirklich verstörenden – weil durchaus in der realen Welt denkbaren – Szene beginnt, nämlich einem Hassverbrechen an einem schwulen Pärchen und dem anschließenden Auftauchen von Gelegenheitsmörder Pennywise: „Es 2“ ist kein ernster Film und will primär unterhalten!

Die Schauspieler erledigen im Großen und Ganzen einen guten Job. Klar, McAvoy ist ein fantastischer Charakterdarsteller, der jede noch so extreme Emotion nur mit einer Arschbacke oscarreif spielen kann. Seine Hauptaufgabe hier ist jedoch, verkniffen oder verzweifelt zu gucken. Fast schon formelhaft und sehr routiniert. Nichts besonderes und auf keinem Fall vom Kaliber „Split“ oder gar „Drecksau“. Ähnliches muss man hier auch von Jessica Chastain behaupten, die hier etwas blass bleibt, aber eben nicht schlecht spielt. SNL-Veteran Hader muss man hier zweifelsfrei als absoluten Showstehler hervorheben, der es regelmäßig schafft, für die zahlreichen witzigen und auch unerwartet emotionalen Momente des Films zu sorgen und diese gekonnt darzustellen.

Jedem/jeder sei hier die Originalfassung ans Herz gelegt, da Hader mit seiner Stimme genausoviel Komik (Stichwort: Jabba the Hut = Eddie’s Mom) wie mit seiner Physis transportieren kann (im Endkampf, wo Hader mitten in der Bewegung von Pennywise hynotisiert wird und wie ein hirnloser Zombie starr in seine Totenlichter starrt, ist pures Comedygold!).

Im Gegensatz zur Buchvorlage und der TV-Adaption von 1990 hatte man sich in Teil 1 ausschließlich auf die Jugendjahre des Clubs der Verlierer konzentriert, statt wie im Roman zwischen den Zeiten hin- und herzuspringen. Diese konsequente Erzählweise machte Teil 1 tatsächlich leichter zugänglich als seine Fortsetzung. Und kürzer. Denn dieser Film ist lang – 165 Minuten, um genau zu sein. Diese Laufzeit ist man von einem Horrorfilm nicht gewöhnt. Generell kann so eine Länge ziemlich abschreckend wirken, egal welches Filmgenre man wählt (außer der „Herr der Ringe“. Dieser Film kann nicht lang genug sein!).

Das Buch „Es“ bietet aber auch eine Menge Stoff. Über 1000 Seiten lang kann man hier die Terrorherrschaft des Clowns über die Kleinstadt Derry in all ihren Facetten und Grausamkeiten nachvollziehen. Aber kein Filmstudio der Welt kann von seinem Zielpublikum so ein Hintergrundwissen voraussetzen. Daher wird es wahrscheinlich einigen Zuschauern zu überdreht, teilweise langatmig, eventuell sogar zu antiklimatisch zur Sache gehen.

Fazit:
Man darf hier keinen reinen Horrorfilm erwarten. Sicher, der Film hat seine Längen, gut 20 Minuten und etwas weniger Kitsch (insbesondere am Schluss) hätten dem Film sicher gut getan. Doch „Es Teil 2“ ist mehr als eine unterhaltsame Fahrt in einer Geisterbahn. Man weiß, was einen erwartet, man erschreckt sich eventuell, aber wirklich gruselig ist das nicht. Dieser Film nimmt sich nicht wirklich ernst und weiß um die Stärken und Schwächen seiner berühmten Blaupause bestens Bescheid, die stellenweise sowas von absurd sind, dass man beim Lesen oftmals laut losprusten möchte!

Wenn man seine Erwartungen nicht allzuhoch setzt, wird man hier einen sehr unterhaltsamen Horror / Comedy – Zwitter erleben, der teilweise extrem über ist und eher wie ein extrem teurer B- Movie daherkommt. ‚Nen Tick zu lang, aber alles in allem sehr gutes Popcorn Kino mit Eventcharackter, was in dieser Form so schnell nicht wieder im Kino zu sehen ist. Und bitte die Logik ausgeschaltet lassen!

Ok, Logik einmal versuchsweise kurz anschalten:
Als Bill den fremden Jungen alleine (!) ins Spiegelkabinett folgt, dieser dann von Pennywise zerfetzt wird und Bill das Spiegelkabinett wieder alleine (!) verlässt…macht ihn das nicht für die Polizei zum Hauptverdächtigen?
NEIN, Logik schnell wieder aus. So, viel besser.
Autor: Georgios Giavanohglou

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