Erstes Konzert der Rolling Stones vor sechzig Jahren  

Die wenigen Besucher, die sich am 12. Juli 1962 im angesagten Marquee Club in der schicken Londoner Oxford Street eingefunden hatten, konnten sich später rühmen, sie seien die Ersten gewesen, die die damals noch wenig bekannten Rolling Stones zum ersten Mal live spielen sahen. Das Konzert der Gruppe war eher zufällig zustande gekommen. Eigentlich war die angesehene R&B-Band „Alexis Korner’s Blues Incorporated“ für diesen Abend in dem Londoner Club gebucht. Doch Korner musste wegen eines Auftritts in der BBC-Radiosendung „Jazz Club“ kurzfristig absagen. Als Ersatz bot der Bluesmusiker dem Clubbesitzer Harold Pendleton an, eine andere Band um den jungen Gitarristen Brian Jones zu vermitteln. Pendleton willigte ein und so kam es, dass am Abend des 12. Juli 1962 die Gruppe voller jugendlichem Selbstvertrauen, aber wahrscheinlich auch mit einer gehörigen Portion Lampenfieber zum ersten Mal auftrat.

Die Band wurde offiziell als „Mick Jagger and the Rollin‘ Stones“ angekündigt, obwohl der Leadsänger keineswegs ihre überzeugendste Persönlichkeit war. Jagger, sein Schulfreund Keith Richards und Brian Jones, der sich kurz vor dem Auftritt den Namen der Gruppe ausgedacht hatte, standen in der ersten Reihe. Jagger, der damals noch an der Londoner School of Economics studierte, hatte einen gestreiften Pullover und Cordhosen an und tänzelte mit kleinen Schritten über die kleine Bühne. Richards trug einen schwarzen Beerdigungsanzug, während Jones, der selbsternannte „Cheltenham Shagger“, hin und her hüpfte und die Frauen anbaggerte. Hinter ihnen stand eine mit starrer, ausdrucksloser Miene spielende Rhythmusgruppe, die aus Richards‘ Kommilitonen von der Kunsthochschule Dick Taylor am Bass und – hier gehen die Meinungen auseinander – Tony Chapman oder dem zukünftigen Kinks-Schlagzeuger Mick Avory – bestand. Vervollständigt wurde die Band durch den stämmigen Pianisten Ian Stewart, der mit seiner Technik und Leidenschaft den Rest der Band um ein Leichtes an die Wand spielte. Im Saal roch es nach gekochtem Kohl und dem Rauch der allgegenwärtigen Player‘s Weights-Zigaretten.

Das erste Konzert – ein gemischter Erfolg

Der Auftritt selbst war ein gemischter Erfolg. Die Setlist umfasste Coverversionen mehr oder minder bekannter Bluesstücke, darunter „I Believe I’ll Dust My Broom“ (Robert Johnson), „Mad Love“ (Muddy Waters) und „Confessin‘ the Blues“ (Walter Brown & Jay McShann). Die Band kippte während des 50-minütigen Auftritts etliche Scotch und Brandy zwischen den Nummern, um die angekratzten Nerven zu beruhigen. Im Publikum waren überwiegend eingefleischte Jazz-Fans, die einige Zeit brauchten, um mit dem amerikanischen Rhythm and Blues, den die Stones spielten, warm zu werden. Jagger stolperte manchmal im Text. Richards war eigentlich nur bei den Chuck Berry Riffs wirklich gut. Dick Taylor erinnerte sich daran, dass es anfangs einige Buhrufe aus dem Publikum gab. Laut Ian Stewarts Tagebuch schalteten die Stones erst in den letzten 15 Minuten auf der Bühne noch einen Gang höher und beendeten den Gig mit „Happy Home“ von Elmore James.

Für ihren Auftritt bekamen die Stones 30 Guineas, was einem heutigen Wert von etwa 811 EUR entspricht. Jones zwackte sich wie üblich in den frühen Tagen einen etwas höheren Anteil ab, ohne es den anderen zu sagen.

Niemand, am allerwenigsten die jungen Musiker selbst, hätte damals geahnt, dass die Band am Vorabend einer beispiellosen Karriere stand. Zu Weihnachten desselben Jahres verließen Dick Taylor und Tony Chapman die Band und wurden durch Bill Wyman bzw. Charlie Watts ersetzt. Im April 1963 übernahm ein junger, gerissener Gauner namens Andrew Loog Oldham das Management der Stones. Er feuerte Ian Stewart, weil sein Aussehen nicht zum Lotter-Image der Band passte und brachte sie bei Decca unter Vertrag.

Die erste Single der Rolling Stones kam im Juni 1963 heraus – eine Coverversion von Chuck Berrys  „Come On“ , die sich 250.000 Mal verkaufte und den Einstieg in die Top Twenty knapp verpasste. Erst mit ihrer zweiten Single „I Wanna be Your Man“, einer Coverversion von Lennon/McCartney, schafften sie ihren ersten Charterfolg. Und der Rest – na ja, der Rest ist bekannt. 

The Rolling Stones sind jetzt auch exklusiv in der CAMERA WORK Virtual Gallery zu bewundern

Titelfoto: Image by Sebastiaan Laan from Pixabay

Standardbild
Hans Kaltwasser
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