Einsame Klasse – Das Leben der Marlene Dietrich

Hollywood- und Stilikone. Mythos. Leinwandlegende. Denkt man an Marlene Dietrich, so fallen einem nur Superlative ein. Aber wer war dieser Mensch wirklich, der sich selbst gar nicht so super fand? In ihrer Biographie „Einsame Klasse – Das Leben der Marlene Dietrich“ beleuchtet Eva Gesine Baur die Vita einer faszinierenden und komplexen Persönlichkeit.

Marie Magdalene Dietrich wird am 27. Dezember 1901 in Berlin-Schöneberg in ein preußisch-bürgerliches Milieu geboren. Ihre Mutter hat das Gemüt eines engstirnigen Feldwebels. Ihr Vater ist ein stadtbekannter Schürzenjäger, der früh an den Folgen einer Syphilis-Erkrankung stirbt. Nach dem Verlust des Vaters zieht die Mutter die Zügel noch mehr an. Doch statt dem Geigen-Unterricht widmet sich Marlene, wie die Teenagerin genannt werden möchte, viel lieber den Jungs. Auch ein Internataufenthalt ändert nichts am Freiheitsdrang von Marlene, die sich als junge Frau in den Golden Zwanzigern in den Lokalen Berlins vergnügt.

Marlene knüpft gerne Beziehungen. So kommt sie mit der Film- und Theaterbranche in Berührung. Erste Probeaufnahmen enden wenig erfreulich. Sie habe kein Talent und solle lieber Kinder kriegen. Das macht sie tatsächlich. Ein Jahr nach der Hochzeit mit Rudolf Sieber bekommt sie ihre Tochter Maria. Marlene putzt und kocht zu Hause, kümmert sich um die Kleine. Doch das ist kein Full-Time-Job für sie. Nachts zieht sie um die Häuser. Tagsüber widmet sie sich ihrer Filmkarriere und wird zu einer gut beschäftigten Nebendarstellerin.

Bereits kurz nach der Geburt des Kindes nennen sich Marlene und Rudi gegenseitig nur noch Mutti und Papilein. Wenig verwunderlich, dass sie sich bald das Bett mit anderen teilen. Rudi mit der Tänzerin Tamara Matsul und Marlene mit immer neuen Liebhabern. Zeitlebens kann sie keine dauerhaften Beziehungen aufrechterhalten. Sie benötigt immer wieder Aufmerksamkeit, Bestätigung, das Gefühl, begehrt zu werden. Und fühlt sich stets einsam.

Eva Gesine Baur beschreibt sehr plastisch das Leben der Leinwandlegende. Immer wieder streut sie Zitate ein, aus Marlenes Aufzeichnungen oder ihrer Zeitgenossen und Weggefährten. Der Stil der Biographie ist sachlich-locker, teils humorvoll und sehr angenehm und spannend zu lesen. Etwa, wenn Erich Maria Remarque morgens mit Marlene im Bett liegt und Rudi Stieber plötzlich fragend vor den beiden steht: „Mutti, was gibt’s heute zu Mittag, was soll ich einkaufen?“ Oder sie während der Ardennen-Offensive im Zweiten Weltkrieg nur knapp einer Gefangennahme durch die Wehrmacht entkommt.

Marlene Dietrich in "Der blaue Engel"
Marlene Dietrich in „Der blaue Engel“

Doch bis dahin ist es zunächst noch ein weiter Weg. Marlene Dietrich ist ein gern gesehener Gast im Berliner Nachtleben, wo sie mit extravagantem und maskulinem Kleidungsstil als Mode-Trendsetterin von sich reden macht und auch dem weiblichen Geschlecht nicht abgeneigt ist. Im Alter von 29 Jahren kommt dann doch noch ihr großer Durchbruch. Als singende Femme Fatale Lola in Josef von Sternbergs Film Der Blaue Engel (1930). Sternberg weiß genau, wie er die Frau mit den langen Beinen, der rauchig-erotischen Stimme und der Magie der Gleichgültigkeit inszenieren muss.

Kurz darauf geht der Regisseur mit seinem neuen Star nach Hollywood. Weitere Hits an den Kinokassen folgen. Doch Marlene sehnt sich nach ihrer Heimat. Oftmals unternimmt sie Reisen nach Europa oder holt ihre Familie in den USA. Mit ihrem Ehemann Rudi wahrt sie in der männlich dominierten, spießigen Gesellschaft nach außen hin den Schein der glücklichen Ehe. Marlene unterstützt Rudi und Tamara finanziell, gibt den beiden Geld für mehrere Abtreibungen, die Rudis Geliebte heimlich in einer Klinik vornehmen lässt. Der abhängige Ehemann lässt seinen Frust an Tamara aus, die immer wieder in psychiatrische Behandlung muss. Auch hier zahlt Marlene. Und mittendrin die Tochter Maria, die ihrer Mutter zunehmend mit Ablehnung begegnet. Für sie ist Marlene bald nur noch Die Dietrich, eine Leinwand-Diva, aber keine Mutter.

Trotz des beruflichen Erfolgs bleibt Marlene Dietrich zeitlebens innerlich zerrissen. Wenn  sie etwas angeht, dann richtig. Sie ist Perfektionistin. Auf dem Set gibt sie einhundert Prozent, ist niemals müde, klagt nie über anstrengende Drehs, und bekocht nebenbei noch die Crew. Wenn sie Zeit mit ihrer Tochter verbringt, dann bemuttert Sie ihren Kater. Doch es bleibt die Unsicherheit. Wer ist sie? Schauspielerin oder Sängerin? Ist sie wirklich gut oder hat sie nur Glück gehabt? Wo ist ihre Heimat? Zu welchem Mann gehört sie? Als erklärte Gegnerin der Nazis ist die Tür nach Deutschland bald für sie zu, obwohl Joseph Goebbels lange Zeit versucht, sie für seine Propagandazwecke einzuspannen. Marlene setzt sich immer wieder für andere Menschen ein, nicht nur für Ehemann Rudi und dessen Geliebte Tamara, sondern auch für Weggefährten, Verwandte, Juden und Flüchtlinge. Finanziell oder durch Aufenthaltspapiere und Jobs, indem sie ihre Beziehungen spielen lässt.

Als Ende der dreißiger Jahre ihre große Zeit vorbei zu scheint, erfindet sich Marlene Dietrich neu. Als Truppenbetreuerin, als Sängerin und als Charakterdarstellerin in Filmen. Auch modisch setzt sie immer wieder Trends. Nach dem Krieg kehrt Marlene, die inzwischen US-Amerikanerin ist, in ihre deutsche Heimat zurück und hat vielumjubelte Auftritte. Die Resonanz ist jedoch nicht nur positiv. Auch Eierwürfe und Beschimpfungen als Verräterin muss sie ertragen.  Marlene engagiert sich nun zunehmend pazifistisch.  Bis Mitte der 1970er Jahre singt sie weltweit auf zahlreichen Bühnen und dreht bis 1979 Filme. Dann zieht sie sich in ihr Pariser Appartement zurück und verbringt dort die letzten elf Jahre ihres Lebens, bis zu ihrem Tod im Jahr 1992. Die Öffentlichkeit soll sie so in Erinnerung behalten wie sie sich inszeniert hat. Als Marlene Dietrich. Als Mythos. Einsame Klasse.

 

Einsame Klasse – Das Leben der Marlene Dietrich
Eva Gesine Baur

C.H.Beck, München 2017
576 Seiten
ISBN 978-3-406-70569-4

Standardbild
Stephan Petersen
Artikel: 13

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.