Wir wissen nicht genau, wann die Geschichte der Musik begonnen hat, sie ist jedoch unabdingbar mit der der Menschheit verknüpft. Sicher ist, dass sie bis heute existiert und Emotionen weckt, aber immer wieder Wandlungen und Veränderungen erfährt.
Musik kann durch Noten festgelegt, aber ebenso improvisiert aus dem Bauch heraus gespielt werden. Die beiden Künstler des Albums „Einfluss“ sind so außergewöhnlich wie unterschiedlich und repräsentieren beide Vorgehensweisen.
Während Roedelius zu den Übervätern der Kosmischen Musik und des Krautrock gehört – geprägt von den späten sechziger und siebziger Jahren, ist Arnold Kasar fast dreißig Jahre jünger und ein Kind des Crossover des Berlins der neunziger Jahre. Roedelius hat nie gelernt, Noten zu lesen, blickt jedoch auf eine über einhundert Releases umfassende Discographie zurück. Kasar verfügt über eine klassische Klavierausbildung. Er brach die Grenze zwischen der elektronischen Tanzmusik und dem Jazz auf, musiziert(e) mit Micatone, Nylon und Friedrich Lichtenstein. Als Ensemblemusiker, Arrangeur und Producer war er im Kontext des einflussreichen Berliner Labels Sonar Kollektiv aktiv.
Beide Künstler sind zusammengekommen, dass daraus ein spannendes Musikwerk entstanden ist, kann kaum verwundern. Das Album ist das Ergebnis einer intuitiven musikalischen Interaktion zwischen zwei großartigen Musikerpersönlichkeiten, die sich gegenseitig beeinflusst haben. So setzte sich Roedelius ans Klavier, das Kasar zuvor mit Filz präpariert hat, damit der ohnehin weiche Anschlag von Roedelius noch zarter und intimer wird. Musik verbindet Menschen, und wer miteinander musiziert, erfährt dies wahrscheinlich noch intensiver. Improvisieren ist die Stärke Roedelius und Kasar reagiert darauf. „Er macht etwas mit dem Klavier, was er auch mit den Synthesizern macht. Ich kann das nicht erklären, aber es bewegt etwas in mir“, so Kasar, der mit seinen elektronischen Instrumenten auf Roedelius‘ Klavierspiel antwortet und ein harmonisches, vom Jazz inspiriertes Moment einbringt.
Auch nach mehrmaligem Hören des Albums wird es nicht langweilig, eher im Gegenteil. „Rolling“ heißt das erste Stück auf dem Album – eine vorbereitete Komposition von Roedelius, und hier hört man die weichen Pianotöne in einem beruhigenden Rhythmus. Zum behutsamen Klavierspiel zupft Kasar an den Saiten des Instruments. Mal wechseln sie sich ab, dann gibt Roedelius die Melodie und Kasar den Rhythmus vor. Die ruhigen Akkorde und die fernen Synthesizer von Blaupause sind eine Soloimprovisation von Kasar, deren Ruhe sich bei „Black White Felt“ noch weiter vertieft.
Das Stück „Volturno“ – nach dem italienischen Fluss in Italien benannt – hört man pulsierend daherfließen und mit kosmischen Synthesizerklängen unterlegt, die langsam ebenso wie das Piano abebben. Mit 7:24 Minuten ist es das längste Stück auf dem Album. „Piave“ nimmt uns mit in eine schwelgerische Tiefe, die Melodien stammen von Kasar. Das Album schließt mit zwei Arbeiten von Roedelius, die von Kasar re-interpretiert wurden. „Lullaby“ ist das kürzeste Stück, bei dem man sogleich an ein Kinderlied denkt. „Sula“ heißt die letzte Komposition, die wie ein Resumee der Melodienvielfalt und des perfekten Zusammenspiels zwischen elektronischer und analoger Musik klingt, sodass man das Bedürfnis verspürt, gleich wieder auf „Play“ zu drücken, um sich das Album nochmals anzuhören.
Hans-Joachim Roedelius & Arnold Kasar
Einfluss
Label: Deutsche Grammophon
Vertrieb: Universal Music
VÖ: 23.06.2017