Ein kleines Mädchen mit blasser, zarter Haut und blonden Haaren – auf den ersten Blick weist nichts daraufhin, dass Benni die allergrößten Probleme hat, die ein neunjähriges Mädchen nur haben kann. Sie hat schon fast alle Hilfestellungen, die es im sozialpädagogischen Bereich gibt, erhalten. Doch Benni fällt durch alle Netze, die unsere Gesellschaft zu bieten hat. Deswegen werden solche Kinder im Jugendamtjargon „Systemsprenger“ genannt.
Es sind jedoch Hilfeschreie, die hinter ihren zerstörerischen Aggressionen stecken. Denn Benni will nur eines: Liebe, Geborgenheit und wieder bei ihrer Mutter wohnen. Ihre Impulskontrolle und Frustrationstoleranz sind jedoch so niedrig, dass der kleinste Anlass sie sofort zum Ausrasten bringt. Zudem hat sie eine traumatischer Erfahrung in frühester Kindheit gemacht. Sobald jemand ihr Gesicht berührt, bekommt sie Angst. Selbst ihre Mutter Bianca weiß nicht damit umzugehen, obwohl sie den Ursprung dieses Traumas kennt. Bianca hat Angst vor ihrer unberechenbaren Tochter.
Als es fast keine Lösung mehr zu geben scheint, springt der Anti-Gewalttrainer Micha ein. Er hat Erfahrung mit älteren straffälligen Kindern. Setzt auf Erlebnispädagogik – das bedeutet: drei Wochen in der Natur, ohne Strom und fließendes Wasser. Ob das bei Bennie hilfreich ist?
Sie möchte, wie sich bald herausstellt, auch von Micha bedingungslose Zuneigung bekommen. Micha kann sie ihr nur zeitlich begrenzt geben. Er steht dicht davor, seine professionelle Haltung zu verlieren. Und wieder rennt Bennie davon.
„Wir haben diesen Film gemacht“, sagt die Regisseurin Nora Fingscheidt, „um Verständnis für Kinder wie Benni zu wecken“. Nora Fingscheidt hat für ihren Film lange und tiefgehend recherchiert. „Der Strudel aus Wohnorten, der dauerhafte Wechsel von Bezugspersonen. Wie soll ein Kind, dessen einzige Kontinuität der Wechsel ist, irgendwo Halt finden? Gleichzeitig reißt Benni uns mit in die wilde und fantasievolle Welt eines Kindes, das um die Liebe seiner Mutter kämpft,“ so die Regisseurin weiter, die die Berlinale-Jury bei den 69. Internationalen Filmfestspielen Berlin 2019 mit ihrem Film überzeugte und sich für ihr intensives und gefühlvolles Spielfilmdebüt über den Silbernen Bären freuen durfte.
Der Film ist sehr berührend und die schauspielerische Leistung – allen voran Helena Zengel, die mit körperlicher Wucht Bennis expressive Wut audrückt und dabei doch so verletzlich wirkt. Die Mutter wird von Lisa Hagmeister gespielt, die Überforderung und Gebrochenheit eindrücklich verkörpert. Albrecht Schuch ist perfekt in der Rolle als Betreuer Micha. Gabriela Maria Schmeide überzeugt realitätsnah als Mitarbeiterin des Jugendamts.
Systemsprenger
Liegt es am System, wenn es so leicht gesprengt werden kann oder an den Kindern? Der Film ist eine Fiktion, von der Realität inspiriert. Er will Aufmerksamkeit erregen, für die Kinder, die sie am Nötigsten haben.
Wenn Kinder so aggressiv sind, steckt immer ein erlebtes Trauma wie Verlust oder ein Mangel an Liebe dahinter. Der Film zeigt, wie ein Kind damit umgeht. Dass es aber auch voller Lebensenergie steckt und mit Aggressionen erreichen will, was ihm zusteht. Denn Kinder müssen geliebt werden, brauchen Geborgenheit und Stabilität.
Trotz der vielen tragischen Momente, die wirklich erschüttern, kann der Film aber auch diese kindliche Energie, die Sehnsucht deutlich vermitteln und hat turbulente und witzige Szenen zu bieten.
Ein Film, den man unbedingt sehen sollte.
Port au Prince Pictures bringt SYSTEMSPRENGER heute in die Kinos