Als Don Airey vor über 20 Jahren zu Deep Purple kam, um den Tasten-Virtuosen Jon Lord zu ersetzen, stand er vor einer scheinbar unmöglichen Aufgabe. Zu sagen, dass er seine Sache gut gemacht hat, ist eine gewaltige Untertreibung. Denn der Neue erwies sich als durch und durch talentierter Virtuose, der Synthesizer, Orgel und Klavier meisterhaft einzusetzen verstand und in seiner Musik ähnlich wie sein Vorgänger Elemente von Rock, Jazz und Klassik verband.
PUSHED TO THE EDGE heißt Aireys siebtes Soloalbum, das am 28. März 2025 erschienen ist. Was den freundlichen Briten zu diesem Titel inspirierte, ist nicht bekannt. Ausdruck seiner aktuellen emotionalen Befindlichkeit ist es wohl kaum, denn an den Rand gedrängt dürfte sich der Absolvent der University of Nottingham und des Royal Northern College of Music kaum fühlen. Im Laufe seiner langen Karriere hat er Anerkennung und große Wertschätzung zahlreicher Bands und Musiker erfahren, unter ihnen Gary Moore, Jethro Tull, Black Sabbath, Judas Priest, Wishbone Ash, Whitesnake und viele andere.
Für sein neues Album hat Airey eine Reihe exzellenter Musiker ins Studio geholt, die ihn kompetent und mit großer Begeisterung musikalisch unterstützen. Mit dabei sind der langjährige Gitarrist Simon McBride (derzeit auch bei Deep Purple) sowie die Sänger Carl Sentance (u.a. Krokus, Persian Risk und Nazareth) und Mitchel Emms (The Voice), Schlagzeuger Jon Finnigan und Bassist Dave Marks. An der Violine und der Trompete ist außerdem der britische Komponist, Multiinstrumentalist und Dirigent Steve Bentley-Klein zu hören, dessen überragenden und komplexen Orchesterarrangements den Songs von Deep-Purple beim Abschlusskonzert des Montreux-Jazzfestival 2011 eine zusätzliche Tiefe und Bandbreite verlieh.
Zehn der elf Songs schrieb Don Airey gemeinsam mit der Band; einzig der Song „Girl from Highland Park“ stammt aus seiner Feder. Das Stück, eine introspektive und verspielte, rein instrumentale Klavierballade mit feinem Finger-Picking, ist eine Hommage an die von Airey sehr geschätzte US-Singer-Songwriterin Billie Eilish.
Sanft und ruhig ist auch zunächst die streicherlastige Rockballade „Flame in the Water“ mit kraftvollem, einfühlsamen Gesang von Mitchel Emms. Das dezente Keyboard, Schlagzeug, Bass und Gitarre sind perfekt aufeinander abgestimmt. Erst in den letzten 90 Sekunden durchschneiden krachende Gitarren die ruhige Stimmung, und McBride setzt mit einem der schönsten Soli des Albums den Schlusspunkt.
Die übrigen Stücke sind energiegeladener Hardrock vom Feinsten, wie man ihn von Gruppen wie Deep Purple, Rainbow oder auch Whitesnake kennt. Großartige Songs wie „Moon Rising“, „They Keep on Running“, „Rock the Melody“, „Out of Focus“ und „Power of Change“ bestechen mit komplexen Gitarrenriffs, stampfenden Akkorden, siedend heißen Soli, fetten Hammondorgeleinlagen und einem Schlagzeuger, der seine Trommeln brutal malträtiert. Dazu kraftvoller Gesang mit Schreien wie aus dem Höllenfeuer. Selbst die Duelle zwischen röhrender Orgel und Gitarre, ein Markenzeichen von Deep Purple, fehlen nicht und werden zwischen Airey und McBride wie im Song „Tell Me“ lustvoll zelebriert.
PUSHED TO THE EDGE ist ein sehr gelungenes, exzellentes Rockalbum, das einen der besten Keyboarder der Gegenwart bei der Arbeit zeigt. Jeder der elf Songs ist eine gelungene Ode an den klassischen Hardrock und zeigt, dass das Genre, dessen Wurzeln in den 1970er Jahren liegen, nichts von seiner übersprühenden Virtuosität und Magie verloren hat.
PUSHED TO THE EDGE VÖ.: earMusic / Vertrieb: Edel – hier streamen
Titelfoto: Photo Credit: Franz Schepers