Ungewöhnliches multimediales Theater können wir ab morgen im Livestream erleben. Hier verbinden sich politische Themen mit Geschichte und Literatur sowie mit solchen, die immer Gültigkeit haben. Nur kurzzeitig sah es so aus, als könnten wir den IS als Gefahr für die demokratische offene Weltgesellschaft zu den Akten legen, doch die letzten Entwicklungen um die IS-Rückkehrer aus Syrien und dem Irak haben das Thema wieder ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt. Wenn wir heute von Selbstmordattentat reden, dann denken wir zu aller erst an den islamistischen fundamentalistischen Terrorismus. Doch diese Annahme lässt außer Acht, dass deutsche/westliche Geschichte und Literatur auch Beispiele hierfür hat. In Schillers Räuber findet sich in Karl Mohr, der eigentlich eine Lichtgestalt ist, eine dunkle Schattenseite. Er gründet eine Räuberbande, raubt und mordet, um den Armen zu geben, doch am Ende erschrickt er selber über die Gewaltexzesse seiner Bande – späte Einsicht.
Ungläubig und mit Unverständnis beobachtet die westliche Welt, wie ihre eigenen Kinder die Heimat verlassen, um in einen Krieg zu ziehen, den sie Dschihad und der Westen Terrorismus nennt. Dieser Krieg richtet sich gegen die Werte und Prinzipien der Gesellschaften, aus denen sie kommen, gegen Demokratie und Toleranz. Dabei ist Terrorismus laut dem Militärstrategen Carsten Bockstette weniger eine Militär-, sondern vielmehr eine Kommunikationsstrategie. So schenkt das Selbstmordattentat demjenigen uneingeschränkte mediale Aufmerksamkeit, der sonst nicht zu Wort kommt.
Generationenkonflikt und Rebellion gegen unsere Gesellschaft
Welches Menschenbild liegt dem zugrunde? Was bewegt diese jungen Menschen? Finden sie in der Radikalisierung, im Islamismus/im Räubertum einen Gegenentwurf zum verweichlichten Elternhaus? Ist, wie z.B. die Politologen und Soziolagen Olivier Roy, Jürgen Manemann und Lamya Kaddor meinen, der Weg in den Dschihad eine Jugendkultur, eine Rebellion gegen das Wertesystem der Gesellschaft oder dessen Fehlen? Der Weg führt in die Wüste oder in den Wald und schließlich vor Gericht!
Auf der Folie von Schillers „Die Räuber“, spiegelt der Vater-Sohn Konflikt den Generationenkonflikt und das Aufbegehren gegen die Gesellschaft. Die Bildung einer Räuberbande ist logische Konsequenz – der Weg in den Dschihad auch? Es zeigen sich Gemeinsamkeiten, die über zeitliche und kulturelle Dimensionen hinausgehen, die die Annahme nahe legen, dass Gewalt in der Natur des Menschen verankert ist: Aber wie kann man ihr entgehen?
In der Freihandelszone beginnt das Stück mit einer performativen „Räuber“-Installation. Der Gründung einer Bande und ihrer Sprengung. Von dort wird der Besucher in das monumentale Kirchengebäude von Sankt Gertrud geleitet, einem Ort der offenen Begegnung und religiösen Auseinandersetzung, der Liebe und der Kunst, aber auch zu einer Gerichtsverhandlung, die unvereinbare Gegensätze und Positionen gegenüberstellt. Wie bei einer Sitzung des UN Sicherheitsrats folgt der Zuschauer über Kopfhörer der Verhandlung auf der Chorempore. Verschiedene Stationen, Videoprojektionen, Spielszenen, Zeugenbefragungen, Blickachsen und der phänomenale Raumklang der Kirche ergeben wechselnde Perspektiven, sowohl gedanklich als auch visuell. Der Aufbau ist wie das klassische Drama in fünf Akte gegliedert.
Mit: Asta Nechajute, Luica Schulz, Fabian Kuhn. Tanz/Choreografie: Katharina Sim. Regie: Andrea Bleikamp. Dramaturgie, Textfassung: Rosi Ulrich. Video: Jens Standke. Musik: Sergej Maingardt. Ausstattung: Claus Stump. Licht: Jan Wiesbrock. Technik: Jens Kuklik. Produktion-Assistenz: Gina Bensch.
Eine Produktion des WEHR51, in Koproduktion mit sankt gertrud: kultur + kirche, Freihandelszone – Ensemblenetzwerk Köln
Ab 15. April 2021, 19.00 Uhr auf www.dringeblieben.de
Fotos: Allesiandro De Matteis