Weder Mathematik und noch seltener Mathematikerinnen werden zum Thema eines Kinofilms gemacht. Das gilt nicht für den neuen Film der Regisseurin ANNA NOVION „Die Gleichung ihres Lebens“. Denn für die Filmemacherin war die Begegnung mit der großen französischen Mathematikerin Ariane Mézard inspirierend und stellte die Weichen für dieses sehenswerte cineastische Epos.
„Sie war die erste, die mit mir auf künstlerische Weise über Mathematik sprach, indem sie Poesie, Fantasie und all das, was mich auch in meinem Beruf antreibt, nannte. Zwischen uns entwickelte sich sofort eine Freundschaft, es war, als ob wir uns wiedererkannt hätten, so Anna Novion.
Beautiful Mind in einem weiblichen Körper, denn in dem Kinofilm tritt die Mathematik bereits im Kindesalter in das Leben von Marguerite (Ella Rumpf). Sie ist die Tochter einer alleinerziehenden Mathematiklehrerin. Als sie erfährt, dass das Universum Unendlichkeit besitzen soll, macht ihr das zunächst Angst. Doch dann vertieft sich Marguerite in jedes für sie zugängliche Buch über das Thema.
Mathematik wird zu ihrer großen Leidenschaft und als einzige Frau im Promotionsprogramm des renommierten Professors Laurent Werner will die brillante Studentin an der École Normale Supérieure in Paris ihre Promotion schreiben.
Die hochbegabte Marguerite, die ein wenig seltsam wirkt, weil sie sich um nichts anderes schert als um ihre Arbeit, wird jedoch immer wieder von Selbstzweifeln geplagt. Als bei der Präsentation ihrer bisherigen wissenschaftlichen Arbeit vor einem Forschergremium ein gravierender Fehler entdeckt wird, wirft sie enttäuscht ihrem Doktorvater fehlende Unterstützung vor. Der Professor lässt sie fallen und wendet sich dem talentierten Promovenden Lucas zu.
Die junge Frau wirft alles hin und lernt Noa kennen. Gegensätzlicher können die beiden Frauen nicht sein, denn während Marguerite ihre Welt verstandesmäßig und vernünftig betrachtet, ist Noas Welt der Tanz, mit dem sie ihre Gefühle ausdrücken kann. Marguerite wird neugierig auf dieses neue „Universum“, das überraschende Erkenntnisse bereithält. Sie verdient nun ihr Geld wieder in einer Männerwelt als Mahjong-Spielerin und verliert selten ein Spiel. Geld hat sie ausreichend, doch die Mathematik verschwindet auch nach so langer Zeit nicht einfach aus ihrem Kopf. Marguerite vertieft sich wieder in das Geheimnis der Primzahlen und findet einen neuen Ansatz, den sie mit Lucas teilen und daran mit ihm weiterarbeiten will.
Die Protagonistin des Films durchläuft eine Entwicklung, die sie am Ende zu einer selbst bestimmten Frau macht, die extrem schwierige mathematische Fragen lösen, aber ebenso eine liebevolle Beziehung eingehen kann.
Ella Rumpf gelingt es unter der einfühlsamen und klugen Regie von Anna Novion, diesen Prozess authentisch sichtbar zu machen: Sich als hochbegabte Wissenschaftlerin in einen von Männern dominierten Wissenschaftsbereich einen Platz zu erobern und trotzdem eine Frau zu bleiben. Einen Teil der Strecke dorthin wird sie von JULIEN FRISON als Lucas begleitet, der seine Rolle sensibel beherrscht. Hervorragend auch SONIA BONNY als Noa und JEAN-PIERRE DARROUSSIN in der Rolle des Professors Werner.
„Die Gleichung ihres Lebens“ ist ein sehr intensiver und fesselnder Film, der seine Premiere im Rahmen der Special Screenings bei den Filmfestspielen von Cannes 2023 feierte. Ab dem 27. Juni ist er bei uns in den Kinos zu sehen.