Der namenlose Tag – Friedrich Ani

Kriminalhauptkommissar Franck ist pensioniert und neben seiner Rente, die er nun bezieht, hat er noch etwas ganz anderes erworben: Einige seiner „Fälle“ sitzen in regelmäßigen Abständen an seinem Tisch und leisten ihm Gesellschaft. Froh ist er darüber nicht. Franck ist geschieden. Nicht zuletzt wegen seiner Polizeiarbeit scheiterte seine Ehe. Jetzt will er nur Ruhe, da taucht plötzlich Ludwig Winther bei ihm auf, und mit seiner Ruhe ist es endgültig vorbei. Vor zwanzig Jahren hatte sich dessen 17-jährige Tochter umgebracht – erhängt – nun glaubt der Vater an Mord.
Winther bittet ihn um Hilfe, doch wie soll Franck ermitteln, wenn er gar keine Berechtigung mehr dazu hat? Zudem ist es schwer, nach so langer Zeit Zeugen zu finden, die sich noch erinnern können. Franck aber hat eine besondere Verbindung zu diesem Fall, da er als Überbringer der Todesnachricht damals der Mutter sieben Stunden beigestanden hatte – im wahrsten Sinne des Wortes, er hielt sie solange umfangen mit dem Rücken an die Flurwand gelehnt, ohne Worte, ohne sich zu rühren. Hinterher wagte er nicht, es einem Kollegen oder sonstwem zu erzählen. Die Mutter nahm sich ein Jahr nach dem Selbstmord der Tochter auch das Leben.
Etwas an dem Fall lässt Franck nicht los, er muss herausbekommen, ob der Vater mit seiner Vermutung recht hat und stößt auf einige Ungereimtheiten. Seine unkonventionelle Methode, sich in die Fälle hineinzuversetzen, nennt er „Gedankenfühligkeit“. Doch führt sie ihn auch diesmal zur Lösung?

Der Ex-Kommissar Jakob Franck ist ein ungewöhnlicher Ermittler, und Ani startet mit seinem sensiblen Protagonisten eine neue Reihe. Dabei zeigt der Autor ein feines Sprachgefühl und Gespür für die Figuren seines Romans. Ani richtet seine Aufmerksamkeit auf die Not der Angehörigen, die insbesondere bei Selbstmord ihre eigene Mitschuld hinterfragen. Und schließlich gilt sie dem Ermittler selbst, der am Ende seines Berufslebens melancholisch und ohne Illusionen die Welt sieht. Ein sehr lesenswertes, aber auch nachdenklich stimmendes Buch.

Friedrich Ani
Der namenlose Tag – Roman

ISBN: 978-3-518-42487-2
Verlag: Suhrkamp

Friedrich Ani, geboren 1959, lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele und Drehbücher. Sein Werk wurde mehrfach übersetzt und vielfach prämiert, u.a. mit dem Deutschen Krimipreis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Seine Romane um den Vermisstenfahnder Tabor Süden machten ihn zu einem der bekanntesten deutschsprachigen Kriminalschriftsteller. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs.

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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