Dai Fujikura & Jan Bang

Jan Bang ist einer der erfolgreichsten und bedeutendsten Elektronikproduzenten Norwegens, der beständig auf der Suche nach neuen musikalischen Schnittstellen zwischen progressiver Kunst und populäre Anziehungskraft ist. Mit seinen „Punkt Editions“ hat er zudem einen Verlag und ein Label geschaffen, das ausgewählte Live- und Studioaufnahmen aus den Archiven des von ihm maßgeblich ins Leben gerufenen experimentellen Punkt International Music Festival sowie neue Produktion veröffentlichen wird.

Mit dem Album THE BOW MAKER legt das Label seine erste beachtliche Produktion vor, die in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Dai Fujikura entstand. Dessen Oeuvre umfasst vor allem Oper, Orchesterwerke, Ensemblestücke, Kammermusik und Filmmusik. Daneben ist der Brite mit japanischen Wurzeln jedoch auch immer mal wieder in der experimentellen Pop-, Jazz- und Improvisationswelt unterwegs. So arbeitete er vor Jahren mit dem britischen Musiker David Sylvian an den Remixen von dessen Album „Died in the Wool“ zusammen. Außerdem dirigierte, arrangierte und komponierte er die vorherrschenden Streichersätze der sechs Songs des Albums.

Von dem zweiteiligen Stück „Night Pole River“ bis hin zum letzten Titel „Satellite Sister“ ist THE BOW MAKER ein Album mehrdimensionaler musikalischer Bewegungen. Nicht nur im herkömmlichen kompositorischen Sinn der aller Musik inhärenten strukturellen Bewegung etwa in der Melodiebildung, in den rhythmischen und harmonischen Verläufen, sondern im Sinne tatsächlicher Bewegung: Die acht scheinbar strukturlosen Kompositionen sind ständig aktiv, schweben traumverloren durch den Raum, umhüllen die Zuhörer, umgeben sie mit dichten Klangräumen, die auftauchen und abrupt enden.

Dai Fujika ist bei allen Tracks am Synthesizer zu hören, mit Ausnahme des Stücks „Implanted Memories“, zu dem er die Orchestersamples beisteuerte. Jan Bangs einzigartiger souveräner Einsatz von Samples, Klangbearbeitung und Programmierung wird durch eine ständig wechselnde Besetzung mit hervorragenden musikalischen Kollaborateuren ergänzt. Eivind Aarsets Gitarre bewegt sich zwischen raffinierten Texturen, breiten warmen Glissandi und kurzen Einwürfen rätselhafter Klänge. Arve Henriksen steuert sein flüssiges Trompetenspiel und seinen gehauchten Falsettgesang bei. Für ganz andere Stimmungen als die von Heriksen sorgt dagegen die Trompete von Nils Petter Molvær, obwohl beide eine gemeinsame musikalische DNA haben. Und Kati Raitinens resonantes Cello im titelgebenden Track „The Bow Maker“ schafft einen eindrucksvollen Kontrast zu der umgebenden Klangwelt.

Die acht Stücke sind in Stimmung und Atmosphäre recht unterschiedlich, mal weiträumig und offen, mal geschlossen und fokussiert, mal warm und dunstig, mal kühl und kristallin. Kurze Einsätze von Schlagzeug, präpariertem Klavier oder Orchester, halb flüchtige Feldaufnahmen oder manipulierte Echos der anderen Instrumente bevölkern die musikalischen Räume mit einer Art fortwährendem Leben, durch das ein führendes Instrument, oft Trompete oder Stimme oder eine eigenwillige Mischung von beidem, mal forsch stürmen, mal sanft wehen kann. Das Stück „Nearly Invisible“, bei dem die geisterhaft verfremdete Stimme von Arve Henriksen auf Tamami Tonos Shō, eine japanische Mundorgel, trifft, beschwört eine irrlichternde, verstörende Klanglandschaft. Das melodische „Satellite Sister“ beschließt dagegen das Album mit warmen, wohltuenden Ambient-Klängen.

THE BOW MAKER ist weder wohlfeile Fahrstuhldudelei noch New Age Meditationsmusik, sondern ein feines, hochinteressantes Album mit Anklängen an Ambient und Neue Musik, das aktiv gehört werden will.  The Bow Maker

VÖ: 30.09.2022

Label: PUNKT/Editions/Jazzland

Standardbild
Hans Kaltwasser
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