Privilegierter, arroganter Dandy, notorischer Bordellgänger, Alkoholiker, Opiumsüchtiger und genialer Lyriker. Charles Baudelaire hatte viele Gesichter. Heute vor zweihundert Jahren wurde er geboren.
Für den Siebenjährigen war die rasche Wiederverheiratung seiner Mutter im November 1828 ein gutes Jahr nach dem Tode des Vaters ein Trauma, weil er nicht mehr im Mittelpunkt der mütterlichen Aufmerksamkeit und Liebe stand. Zudem war sein Adoptivvater, der zukünftige General Jacques Aupick, kein Mann seines Geschmacks, sondern ein Symbol der verhassten bürgerlichen Werte. In der Schule galt Charles Baudelaire als unsteter Zögling, der mal durch unbändigen Fleiß und gute Leistungen, dann wieder Desinteresse und Untätigkeit auffiel. Das „Bac“, das Abitur, bestand er als Externer, da er zuvor von der Schule verwiesen worden war.
Später studierte Baudelaire Jura am Lycée Louis-le-Grand in Paris, mehr auf Drängen des Stiefvaters, der aus ihm einen rechtschaffenden, tüchtigen Verwaltungsbeamten machen wollte, denn aus eigener Neigung. Doch stärker als die Vorlesungssäle zogen Baudelaire die Bars, Cafes und Bordelle im Quartier Latin an. Um das ausschweifende Leben, das er führte, zu beenden, zwang ihn sein Stiefvater 1841 zu einer Schiffsreise nach Indien, die er allerdings vorzeitig in Mauritius abbrach. Diese Reise hatte einen entscheidenden Einfluss auf das Werk des späteren Dichters: Das Meer, die Düfte, die Exotik sollten ihn in seiner verzweifelten Suche nach Schönheit für immer inspirieren.
Zurück in Paris 1842 mischte sich Baudelaire unter die literarische Bohème der Metropole, führt das Leben eines arroganten und großzügigen Dandys, der das ansehnliche väterliche Erbe schon in kurzer Zeit verbrannte. Neben seiner Tätigkeit als Kunstkritiker und Übersetzer der Werke Edgar Allen Poes arbeitete Baudelaire zehn Jahre lang an seiner Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“, in der er die Dualität zwischen Gewalt und Lust, Gut und Böse, Schönheit und Hässlichkeit, Himmel und Hölle erforschte. Die Veröffentlichung des Zyklus 1857 war ein Skandal. Die Kritik ließ kein gutes Haar an dem literarischen Werk. Wegen Beleidigung der öffentlichen Moral und guten Sitten mussten sich Baudelaire und sein Verleger vor Gericht verantworten, das sie zu einer Geldstrafe verurteilt. Sechs als obszön und unmoralisch eingestufte Gedichte mussten zudem aus der Ausgabe entfernt werden.
Das Urteil hat Baudelaire nachhaltig beeinflusst. Seine literarische Arbeit brachten kein Geld ein. Dauernd befand er sich auf der Flucht vor seinen Gläubigern. 1864 begab er sich nach Brüssel, wo der chronisch unter Geldmangel leidende Dichter vergeblich versuchte, sich mit Vorträgen über Literatur und Kunst durchzuschlagen. Sein Gesundheitszustand, durch die jahrelangen Exzesse ohnehin angegriffen, verschlechterte sich rapide. Baudelaire erlitt einen Schlaganfall, von dessen Folgen er sich nicht mehr erholen sollte. Verarmt kehrte er nach Paris zurück, wo ihn seine Mutter bis zu seinem Tode am 31. August 1867 pflegte.
Den Erfolg seines Werkes, den nur wenige Zeitgenossen wie Victor Hugo und Gustave Flaubert begriffen, hat er selbst nicht mehr erlebt. Heute gilt er als Wegbereiter des Symbolismus, der inhaltlich und formal mit der traditionellen Dichtkunst brach und den Weg zur Moderne öffnete. Bedeutende französische Schriftsteller wie Arthur Rimbaud verehrten ihn. Marcel Proust bezeichnete ihn neben Alfred de Vigny als „den größten Dichter des 19. Jahrhunderts“. Der Dichter T. S. Eliot lobte ihn als „großes Genie“ und borgte sich in „The Waste Land“ zwei seiner Motive. Und in den 1960er inspirierte Baudelaire viele Rockstars wie Leonard Cohen, Bob Dylan, Jim Morrison, die alle aus seiner bizarren Bildersprache schöpften.