BURN ON – immer kurz vorm Burn Out

Für seinen Job brennen und alles geben. Nicht wenige unter uns haben einen Beruf, der sie ganz ausfüllt. Und es ist eine feine Sache, seine beruflichen Ambitionen ausleben zu können. Doch vermehrt zeigt sich, viele Menschen haben eine Phase in ihrem Leben errreicht, in der sie zwar noch nicht ausgebrannt sind und einen Burn Out erlitten haben. Sie befinden jedoch auf einer ähnlich gefährlichen Spur. Sie leiden an Burn On. Einer Form der Depression, einer chronischen Erschöpfungsdepression. Das Tückische daran ist, die Menschen funktionieren weiter und weiter, doch mit dem hohen Risiko an ihrer Seite, psychisch und physisch zu erkranken. Wie es zu einem Burn-On-Syndrom kommen kann, erklären und analysieren die renommierten Experten Prof. Dr. Bert te Wildt und Timo Schiele in ihrem gerade erschienenen Buch „Burn On – Immer kurz vorm Burn Out“.

Wir leben in einer Zeit, in der Erfolg und Leistung extrem wichtig geworden sind. Leistungsbereitschaft kennt kaum noch eine Hürde. Homeoffice, technische Errungenschaften wie das Internet und Smartphones machen eine ständige Verfügbarkeit möglich. Zudem konkurrieren und wetteifern wir in noch stärkerem Maße als zuvor und wollen immer perfekt sein. Eltern sind im Beruf ebenso wie in ihrer Elternrolle stark gefordert. Sie wünschen sich, möglichst konfliktfrei diese Aufgaben zu bewältigen.

Auf der anderen Seite werden Menschen herausgefordert durch zu wenig Personal, wie jetzt während der Pandemie in der Pflege überdeutlich geworden ist. Eine lange Zeit klappt oftmals auch der Spagat zwischen Beruf und Freizeit – es gelingt beides auszubalancieren. Doch wer in einen Dauerstress gerät, geht mit schnellen Schritten auf die Burn-On-Falle zu. Eine Erkrankung, die sich leicht maskieren lässt und mit hohem Leidensdruck einhergeht. Denn wer arbeitet, bekommt Respekt und Belohnung. Wer es nicht schafft, wird schnell abgestempelt. Die Fallbeispiele verdeutlichen dieses Dilemma.

Ein Faktorenbündel aus gesellschaftlichen, Arbeits- und persönlichen Bedingungen

Auf der Suche nach den Bedingungen, die zu dem selbst-ausbeuterischen Verhalten eines Individuums im Arbeitsleben führen, können die Autoren ein Bündel an Faktoren ausmachen. Der arbeitende Mensch unterliegt nicht nur den direkten und engmaschigen Arbeitsmechanismen und Bedingungen, sondern diese sind eingebettet in größere gesellschaftliche, politische und sozio-ökonomische. Diese führen dazu, das sich Menschenbilder verschieben und Leistungskriterien sich verändern. So erzeugt die digitale Revolution einen immer stärker werdenden indirekten Druck. Künstliche Intelligenz und Robotik dürfen nicht vergessen lassen, dass wir Menschen sind „und kein Auslaufmodell“.


Klimakrise und die Corona- Pandemie versetzen uns in eine Lage, die die „menschliche Überlegenheit“ schrumpfen lässt und „(…) stürzt uns in eine, so die Autoren, „tiefe narzisstische Krise“. Um den Prozess in die chronische Erschöpfungsdepression zu verstehen, bieten pädagogische, psychologische und neurobiologische Bedingungen weitere Zugänge.

Prävention und Wege aus dem Burn On

Ganz ohne Stress geht es in unserem Leben nicht. Doch es gibt zwei verschiedene Formen: Distress bedeutet negativer Stress, wogegen Eustress ein positiver ist, den wir in unserer Arbeit gut gebrauchen können. Geht es nur darum, schnelle Siege und Geld ohne Sinn zu erwerben, kommt man leicht in den zerstörerischen Distress. Hier ist ein sinnvolles Zeit- und Pausenmanagement hilfreich, um frühzeitig Dauerstress entgegenwirken zu können. Professionelle Hilfe zu suchen, sobald die Anspannung zu groß wird, das Leistungsvermögen absinkt und Schuldgefühle zunehmen, ist ein weiterer frühzeitiger Schritt.

Die Autoren führen ausführliche und konkrete Maßnahmen, Übungen und praktische Tipps an. Körperwahrnehmung und Übungen dazu fehlen nicht und sind überaus wichtig. Denn der Mensch als sinnliches Wesen braucht Sinnes- und Körpererfahrungen über verschiedene Wege und zu anderen Menschen. Der virtuelle Kontakt reicht nicht aus, um das Bedürfnis danach zu kompensieren.

Letztendlich erläutern die Autoren in ihrem Buch die Frage nach dem Sinn des Arbeitslebens, die natürlich jeder/jede für sich beantworten muss. Es gibt jedoch eine starke Entfremdung des Menschen im Arbeitsprozess, die Karl Marx bereits vor mehr als einem Jahrhundert beschrieben hat. Wie auch hier und beim Risiko durch wirtschaftliche Verhältnisse seinen Job zu verlieren, sind die Fallhöhen von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Doch die Suche nach dem Sinn, so die Autoren, (…) „hört niemals auf, und das ist gut so. Wer aber aufhört, nach einer Sinnhaftigkeit jenseits der Zweckmäßigkeit zu suchen, der begibt sich auf einen gefährlichen Weg“.

Zudem haben die Autoren mit ihrer Analyse und Bestimmung des Burn On auch den Weg geebnet, es als anerkannte Erkrankung in die Liste der WHO einordbar zu machen.

„BURN ON“ ist ein umfassendes und sehr verständlich geschriebenes Buch über die chronische Erschöpfungsdepression. Eine Erkrankung, die unbedingt in ihrer Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit für unsere Gesellschaft wahrgenommen werden muss. Dieses Buch ist ein wichtiger Schritt dahin.

BURN ON – immer kurz vorm Burn Out

Autoren: Bert te Wildt | Timo Schiele

Verlag: Droemer HC
Erscheinungstermin: 01.06.2021
304 Seiten
ISBN: 978-3-426-27848-2
Autoren: Bert te Wildt, Timo Schiele

Timo Schiele
Timo Schiele ist leitender Psychologe der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee. Zuvor war er am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München sowie einer Psychosomatischen Klinik am Starnberger See tätig. Zuletzt arbeitete er in der psychosomatischen Tagesklinik München mit den Schwerpunkten Depressions- und Essstörungsbehandlung. Seit 2018 ist er als Dozent in der Ausbildung von Psychologischen Psychotherapeuten im Bereich kognitive Verhaltenstherapie tätig.

Bert te Wildt
Prof. Dr. med. Bert te Wildt ist Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee. Zuletzt war er als Leiter der Ambulanz am LWL-Universitätsklinikum für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Seine klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Verhaltenssüchte, insbesondere der Internetabhängigkeit sowie der Nutzung digitaler Technologien in der Psychotherapie. 2015 erschien im Droemer Verlag sein Buch „Digital Junkies. Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder“.

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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