„Broken Music Vol. 2“ – Künstler*innen und die Schallplatte

Emil Berliner wusste, wo er hingehen sollte, um Investoren für sein Grammophon zu gewinnen und reiste 1889 nach Deutschland. Dort hatte er einen Termin mit Experten der Berliner Elektrotechnischen Gesellschaft. Schnell fand er dort Geldgeber und der Weg zur Serienherstellung der Schallplatte war nicht mehr weit – Musik, gepresst in eine schwarze Scheibe aus Kunststoff, startete ihre wechselvolle Geschichte.

Von Beginn an faszinierte sie durch den ihr eigenen Widerspruch: ein fester Gegenstand, der jedoch körperlosen Klang enthält. Früh erkannten Künstler*innen die kreativen Möglichkeiten der Schallplatte und verwandelten sie in ein künstlerisches Objekt: Sie entwarfen Hüllen für Plattenfirmen und dokumentierten in den Rillen der Schallplatten den Sound ihrer Kompositionen, Performances, Lesungen und Installationen, wobei sie den akustischen Inhalt und das visuelle Erscheinungsbild meist als Einheit verstanden.

Hundert Jahre später 1989 startete in West-Berlin eine Wanderausstellung, die am Puls der Zeit war. Die Person dahinter: Ursula Block, Inhaberin von „gelbe MUSIK“ (1981–2014), einem kleinen, aber weltbekannten Plattenladen in Berlin-Wilmersdorf, in dem alle vorbeischauten, die in die Stadt kamen, darunter einflussreiche Künstlerinnen und Musikerinnen wie John Cage, Yoko Ono, Sonic Youth und Björk. Es war die Blütezeit der Schallplatte und Blocks Ausstellung „Broken Music. Artistsʾ Recordworks“ fand ein begeistertes Publikum. Die Schallplatte galt seitdem als ein Leitmedium des vielfältigen Austauschs von Kunst und Musik.

Anknüpfend an diese bahnbrechende Ausstellung, verfolgt „Broken Music Vol. 2“ die Beschäftigung von Künstlerinnen mit der Schallplatte in den letzten sieben Jahrzehnten. Anhand von 700 Tonträgern, vorgestellt in zehn Kapiteln, beleuchtet die Ausstellung die Entwicklung der Schallplatte als Medium der Kunst von der Nachkriegszeit bis heute und stellt Verbindungslinien her zum Feld der Musik in Komposition und Improvisation, Pop, Punk und Club. Erweitert wird das Panorama durch Klangarbeiten aus der umfangreichen Sammlung der Nationalgalerie, darunter raumfüllende Soundinstallationen und immersive Medienarbeiten. Auf diese Weise zeigen sich zwischen der Schallplatte und den Bereichen Musik, Performance und Soundart Wechselwirkungen, durch die Farben zu Tönen und Klänge zu Bildern werden. Künstlerinnen von Andy Warhol bis Barbara Kruger gestalteten ikonische Cover; Christina Kubisch und Susan Philipsz schaffen intensive Soundinstallationen; aufgenommene Performances und Lesungen von Anne Imhof bis Jimmie Durham machen die Schallplatte für ein späteres Publikum erlebbar.

Einst Massenmedium, wurde die Schallplatte im digitalen Wandel fast schon abgeschrieben, ihre Faszination aber hat sie nie verloren. Heute erhält sie als Nischenprodukt und Sammelobjekt wieder steigende Aufmerksamkeit. In vielfacher Hinsicht feiert „Broken Music Vol. 2“ die Widerstandsfähigkeit der Schallplatte. Zugleich ist die Ausstellung eine Hommage an alle Künstlerinnen und Vinyl-Enthusiastinnen in Berlin und darüber hinaus, die sich nach wie vor diesem Objekt verschrieben haben.

Die Schallplatten in „Broken Music Vol. 2“ stammen aus der Sammlung der Nationalgalerie, der es 2019 mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Ernst von Siemens Musikstiftung gelang, einen umfangreichen Bestand an Schallplatten von Ursula Block zu erwerben. Dank der Unterstützung der Freunde der Nationalgalerie sowie zahlreicher Schenkungen konnte dieses Konvolut nun ergänzt und aktualisiert werden.

Kuratiert von Sven Beckstette und Ingrid Buschmann, wissenschaftliche Mitarbeitende am Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart.

Mit Werken und Schallplatten von u. a.:
Saâdane Afif, Fatima Al Qadiri, Kai Althoff, Laurie Anderson, Katja Aufleger, Jean-Michel Basquiat, Harry Bertoia, Claus Böhmler, Henning Christiansen, Pauline Curnier Jardin, Katharina Fritsch, Dominique Gonzalez-Foerster, Douglas Gordon, Romuald Hazoumè, Anne Imhof, Rolf Julius, Milan Knížák, Käthe Kruse, Christina Kubisch, Hans Peter Kuhn, Bernhard Leitner, Robert Lippok, Christian Marclay, Luzy McKenzie, Michaela Melián, Piotr Nathan, Carsten Nicolai, Emeka Ogboh, Nam June Paik, Raymond Pettibon, Susan Philipsz, Wolfgang Tillmans, Jorinde Voigt, Andy Warhol, Lawrence Weiner

Zu sehen bis 14.05.2023 im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart

Titelfoto: Carsten Nicolai, bausatz noto ∞, 1998/2015, Ausstellungsansicht „Broken Music Vol. 2“, Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, 17.12.2022-14.5.2023 © Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin / Thomas Bruns

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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