BORN TO BE BLUE – Filmtipp

Nur Chet Baker schaffte es, diesen unverwechselbaren Trompetenton mit jener eigentümlich gehaucht-verruchten Eleganz hervorzubringen. Und wenn er sang, dann verwandelte er so komische Zeilen wie „Let’s defrost in a romantic mist / Let’s get crossed off everybody’s list“ in etwas Sublimes, schön und melancholisch zugleich. Außerdem war Chet Baker, glaubt man der impressionistischen Filmbiografie BORN TO BE BLUE des kanadischen Regisseurs Robert Budreau, der größte Junkie der Welt.
Budreaus BORN TO BE BLUE ist halb Hommage, halb Fiktion und erhebt glücklicherweise erst gar nicht den Anspruch, das Mysterium, das Baker umgibt, vollends zu enträtseln. Vielleicht beruht der Charme, den der beeindruckende Film versprüht, ja gerade hierauf. Was dieses Biopic aber unbestreitbar auszeichnet, ist – neben der großen schauspielerischen Leistung von Ethan Hawke als Chet Baker – sein tiefes emotionales Verständnis, wer der Jazzer möglicherweise war.

born to be blue
Der Film beginnt mit einem kleinen Detail aus Bakers Leben. Noch während der „James Dean des Jazz“ in einem italienischen Gefängnis eine Haftstrafe wegen Drogenbesitzes verbüßt, erhält er das Angebot, die Hauptrolle in einem Film über sein Leben zu spielen. Dieser Film kam in Wirklichkeit nie zustande, doch Budreau greift dennoch diesen Erzählstrang auf und spinnt ihn fiktiv weiter. Er lässt Ethan Hawke einen Schlüsselmoment aus Bakers Leben spielen, als der Musiker nach einem Auftritt in einem Nachtclub in Harlem den Verlockungen einer eleganten Dame erliegt. Beide ziehen sich hastig in die Garderobe zurück, wo Baker sich mit der Schönen den ersten Schuss setzt. Dann ruft der Regisseur „Cut“, und man sieht, wie Baker die Schauspielerin, die die elegante Dame aus Harlem spielt, anmacht. Warum er Heroin nehme, fragt sie. Weil es ihn glücklich mache, antwortet der Jazzer lakonisch.

born to be blue Jane
Jane (Carmen Ejogo)

Die Schauspielerin, die sich schlecht und recht durchs Leben schlägt, heißt Jane (Carmen Ejogo). Und obwohl sie über genügend instinkthafte Vorsicht verfügt und es untrügliche Vorzeichen gibt, lässt sie sich auf Baker ein. Eine Zeitlang ist das Paar pleite und haust in einem VW-Bus, der auf einem steilen Abhang hoch über dem Pazifik geparkt ist. Ein Leben am Abgrund und doch suggerieren die Bilder, dass dies so ziemlich die schönste Zeit in Bakers Leben war.

born to be blueHawke singt Bakers altbekannten Standardsongs wie „My Funny Valentine“ und „I’ve Never Been in Love Before“ und macht das ziemlich gut. Und wenn er so mit fragiler, sanfter Stimme vor Jane croont und seine schmachtende Trompete mit lässiger Arroganz spielt, versteht man plötzlich, warum Jane sich von ihrem Verstand verabschiedet und in diesen Typen verguckt hat.


Die wahre Geschichte, die BORN TO BE BLUE erzählt, ist freilich bitterer: Wie „Chetty“ die Zähne herausgeschlagen wurden und er neu lernen musste, seine Trompete zu spielen. Baker schuldete seinem Dealer Geld, und als er nicht zahlte, wurde er windelweich geprügelt. Die eingeschlagenen Zähne machen jeden Ton, den Baker auf seiner Trompete spielt, zu einer fürchterlichen Qual. Baker steht vor dem Aus, doch lässt sich nicht unterkriegen, will zu seiner früheren künstlerischen Form zurück. In einer berührenden Szene sieht man ihn in einer Badewanne, wie er verzweifelt versucht,  Trompete zu spielen. Blut quillt aus seinem Mund hervor, Baker verzieht das Gesicht vor Schmerzen und dennoch setzt er die Trompete erneut an.

Am Ende des Films, der von der Westküste (Bakers Heimat) zur Ostküste springt und von Schwarzweiß zu Farbe wechselt, steht der Musiker vor einer wichtigen Entscheidung, die sein Leben verändern wird. Baker hat sich nach jahrelanger Heroinsucht dank Methadon wieder gefangen und den Kontakt zu seinem Produzenten Richard „Dick“ Bock (Callum Keith Rennie) wiederhergestellt. Ein Auftritt im legendären Jazz-Club „Birdland“ ist bereits gebucht.

Das Comeback scheint zum Greifen nah. In diesen heiligen Hallen spielten einst Miles Davis, der Bakers sanfte Spielart verachtete, und Dizzy Gillespie, der den jungen Jazzer wohlgesinnt war. Beide Koryphäen sitzen im Publikum und Baker will es ihn zeigen. Er steht unter enormen Druck, ist in der Garderobe und zögert, auf die Bühne zu gehen. Kann er den Auftritt schaffen, ohne erneut zum Heroin zu greifen?

Bakers Entscheidung bricht einem das Herz, doch aus der Sicht des Films  BORN TO BE BLUE ist sie nachvollziehbar, ja, ergibt sogar Sinn. Wenigstens so viel Sinn, wie ein widersprüchliches Leben zwischen Ruhm, Elend, Schönheit und Verzweiflung eben zulässt.

 

Kinostart: 08. Juni 2017

im Verleih von Alamode Film

Fotos:  Alamode

Standardbild
Hans Kaltwasser
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