Bob Dylan „Highway 61 Revisited“

Über die Alben von Bob Dylan ist schon so vieles gesagt und noch mehr geschrieben worden, dass man allzu leicht Gefahr läuft, sich in dem üppig wuchernden Gestrüpp der Legenden zu verlieren, die sie umgeben. Eine, die sich besonders hartnäckig hält, ist die vom Tag, als in Newport die Erde stillstand. Gemeint ist jener 25. Juli 1965, als Dylan beim Newport Folk Festival lautstark ausgebuht wurde, nachdem er seine Fender Stratocaster in einen Verstärker stöpselte und zusammen mit Mitgliedern der Butterfield Blues Band seinen Gig mit einer rockigen Version des Songs „Maggie’s Farm“ eröffnete. Doch die Buhrufe galten nicht oder wenigstens nicht überwiegend der vermeintlichen Tatsache, dass Dylan seine akustische Gitarre gegen eine elektrische getauscht hatte, sondern dem ausgesprochen schlechten, mulmigen Sound, der von der Bühne kam.

Klar, bei manch einem fundamentalistischen Veteranen der seit Anfang der 60ziger Jahre in den USA erstarkenden Folkszene, dem E-Musik gewiss in etwa so viel Ungemach bereitetet haben mag wie das Weihwasser dem Teufel, dürfte der Schock tief gesessen haben. Gerade einmal ein Jahr zuvor hatte die Folk-Gemeinde Dylan eodem loco als neuen Hoffnungsträger der Bewegung gefeiert, der die Tradition eines Woody Guthrie und Peter Seeger weitertragen würde. Nicht wenige sahen in ihm gar das Sprachrohr seiner Generation, der das wachsende Unbehagen an der amerikanischen Gesellschaft formulierte. Dylan selbst bereitete der um ihn herum entstehende Kult zunehmend Verdruss und wollte sich von keiner Seite vereinnahmen lassen. Und so mag es im Rückblick auch kein Zufall sein, dass er seinen kurzen Auftritt an jenem Tag ausgerechnet mit „Maggie’s Farm“ eröffnete, einem Song, der in der letzten Strophe auch das Unbehagen über die Erwartung formuliert, Protestlieder singen zu müssen:

„Well, I try my best
To be just like I am.
But everybody wants you
To be just like them.
They sing while you slave and I just get bored
I ain’t gonna work on Maggie’s farm no more.“

Wenige Tage nach dem Newport-Eklat ist Dylan im Studio, um mit seiner Begleitband sein sechstes Album „Highway 61 Revisited“ aufzunehmen, mit dem er die Hinwendung zur elektrisch verstärkten Musik vollendet. Während die komplette A-Seite des Vorgängeralbums „Bringing it all Back Home“ noch aus Akustik-Aufnahmen bestand, findet sich auf „Highway 61 Revisited“ lediglich ein einziges Stück, auf dem sich Dylan mit seiner akustischen Gitarre begleitet.

Der Titel des Albums ist Programm. Denn der Highway 61 ist, wie Dylan in den „Chronicles“ beschreibt, die Hauptverkehrsachse, die das im US-Bundesstaat Minnesota gelegene Duluth, in dem er aufwuchs, mit den Städten des Südens wie St. Louis, Memphis und New Orleans verband, die allesamt für das Erbe des CountryBlues und Blues stehen. Insofern ist Dylans „Highway 61 Revisited“ gleichzeitig eine Rückkehr zu den Orten seiner Kindheit und den musikalischen Einflüssen, die ihn geprägt haben.

Aufgenommen in gerade einmal sechs Tagen, zählt „Highway 61 Revisited“ heute zu den Meilensteinen der Rockmusik, die alles veränderten einschließlich unserer Gewohnheiten, Musik zu hören.

Stilistisch changieren die neun Songs zwischen Folk („Desolation Row“), leisen, eindringlichen Rockballaden („It Takes a Lot to Laugh, It Takes a Train to Cry“) bis hin zu schnörkellosem, rauem Garagenrock („Tombstone Blues“,“ Ballad of a Thin Man“, „From a Buick 6,“ „Highway 61 Revisited„). Mit Ausnahme des Songs „Desolation Row“ sind alle Stücke elektrisch verstärkt. Doch nicht nur den Sound hat Dylan verändert, sondern auch seine Persona. An die Stelle des nachdenklich-melancholischen Folk-Troubadours der frühen Jahre, der den Klängen „Tambourine Man“ folgte, ist der Kommentator getreten, der zynisch und mit Häme im Song „Like a Rolling Stone“ den sozialen Abstieg eines Mädchens aus besseren Kreisen kommentiert, und der Mahner und Visionär, der in jeder Strophe des Stücks „Desolation Row“ eine Welt zeigt, die auf dem Kopf steht und aus den Fugen gerät.

Textlich bedient sich „Highway61 Revisited“ häufig einer differenzierten, surrealen Sprache, deren Metaphern das Gefühl von Beklemmung, Bedrohung und Endzeit wie in „Desolation Row“ vermitteln, bisweilen aber auch von Komik und Absurdität wie im Song „Ballad of a Thin Man“, dessen Protagonist Mr. Jones in allerlei merkwürdige Situationen gerät, die ihm Anlass geben, zahlreiche Fragen zu stellen. Doch je mehr Mr. Jones fragt, desto weniger Antworten erhält er. Dylans Musik spiegelt diese Antinomien wider, indem sie zwischen leisen, beruhigenden Melodien und hartem Bluesrock schwankt.

Und vielleicht ist dies das eigentliche revolutionäre, den zeitgenössischen Geschmack transzendierende Element, das „Highway 61 Revisited“ zu einem Meilenstein der Rockmusik macht: der Nachweis, dass guter Rock ‚n’ Roll eben doch literarisch, poetisch und komplex sein kann, ohne notwendigerweise akademisch und harmlos zu wirken.


Fotoquelle: pixabay

Standardbild
Hans Kaltwasser
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