Am liebsten ist Sage Singer in der Backstube – es ist ihr Metier – die verschiedensten Brote, Brötchen und Gebäck zu backen, zu beobachten, wie der Teig sich nach langen Knetphasen verändert, wie die Gluten sich entfalten und der Teig schließlich die richtige Konsistenz bekommt, um in den Backofen geschoben zu werden. Zu Backen, war nicht ihr Berufsziel nach ihrem Studium. Ein schreckliches Ereignis führte dazu: Sage fuhr das Unfallauto, in dem sie mit ihrer Mutter saß, die bei dieser Katastrophe schwer verletzt wurde und nach mehreren Operationen am Ende starb. Sage fühlt sich schuldig. Die Arbeit im „Our daily bread“ macht es möglich, im Hintergrund zu bleiben. Das will Sage auch so, denn der Unfall hat sie sichtbar gezeichnet. Narben und transplantierte Haut sind deutliche Zeichen, die sie ständig versucht, mit ihrem Haar zu verdecken. Das alles macht sie verletzlich, und sie glaubt, dass jeder dieses Stigma sieht und sie nur darnach beurteilt. Ihre Affäre mit dem verheirateten Adam ist ein weiterer Hinweis, dass sie nur zweite Wahl sein kann, obwohl sie in den Augen anderer sehr attraktiv ist.
Seit drei Jahren nimmt Sage an einer Trauergruppe teil, um ihre Schuldgefühle und Trauer zu verarbeiten. Als sie dort den 90jährigen Josef Weber kennenlernt, ändert sich ihr Leben auf drastische Weise. Zunächst glaubt sie, einen netten alten Herrn getroffen zu haben, der ihr das Schachspielen beibringt und sie so akzeptiert, wie sie ist.
Als er sie aber darum bittet, ihm einen schwerwiegenden Gefallen zu tun, gerät sie in ein moralisches Dilemma. Schließlich erfährt sie, warum Josef Weber sterben will und sie ihm helfen soll. Entsetzt macht sie genau das Richtige, sie wendet sich an die Stelle, die für die Verbrechen, die Josef Weber begangen hat, zuständig ist. Doch wie geht Sage mit diesem Wissen um, das auch ihre Familie betrifft? Ihre Großmutter ist eine Überlebende des Holocaust, doch nie hat sie je darüber gesprochen. Wird sie es jetzt tun, wo ihre Enkelin zufällig einem Nazi begegnet ist, der sich schuldig gemacht hat, tausende Menschen getötet zu haben?
„Bis ans Ende der Geschichte“ ist ein sehr lesenswerter und überaus wichtiger Roman. Er erzählt über ein schlimmes und schwerwiegendes Kapitel der Deutschen Geschichte, den Holocaust. Und dieser Teil des Buchs lässt den Leser und die Leserin betroffen und berührt zurück. Obwohl die Grausamkeit der Nazi-Verbrechen längst bekannt ist, ist es immer wieder unfassbar, dass so etwas möglich war. Der Roman wirft Fragen nach Schuld und Vergebung, Gerechtigkeit, Vergessen und Erinnern auf und liefert selbst ein Stück Erinnerung, denn er stützt sich auf sorgfältige Recherchen zu vieler schrecklicher Tatsachenberichte.
Der Roman hat aber auch eine schöne und leichte Seite. Die erzählerische Kraft der Bilder, die Fähigkeit der Autorin, die Protagonisten lebendig werden zu lassen, die unterschiedlichen Charaktere, darunter glücklicherweise auch so viele liebenswerte und mutige, die trotz allem zuversichtlich und hoffnungsvoll stimmen, all dies macht den Roman so unbedingt lesenswert. .
Bis ans Ende der Geschichte
Jodi Picoult
Originaltitel: The Storyteller
Originalverlag: Emily Bestler Books / Atria Books (Simon & Schuster), New York 2013
Aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel
Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-570-10217-6
Verlag: C. Bertelsmann
Zur Autorin
Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, New York, lebt heute nach ihrem Studium in Princeton und Harvard mit ihrem Mann und den drei Kindern in Hannover, New Hampshire. Sie gehört zu den faszinierendsten angelsächsischen Erzählern und besitzt die seltene Gabe, die Zerbrechlichkeit und Komplexität menschlicher Beziehungen in ihren Romanen festhalten zu können. 2003 wurde sie mit dem New England Book Award ausgezeichnet. Zuletzt erschienen auf deutsch mit großem Erfolg ihre Romane »Beim Leben meiner Schwester« und die »Die Wahrheit meines Vaters«.