Wer bestimmt, was Kunst ist? Sind vier schwarze Punkte auf einer Leinwand, die ein gewiefter Kunsthändler als Vergegenständlichung tiefster menschlicher Reflexion verkauft, mehr wert als schlichte, naive Bilder, die den Betrachter bewegen? Wenn Andy Warhol, der im Vorspann zu Tim Burtons neuen Film „Big Eyes“ zitiert wird, Trash gefällt, wird Kitsch schon dadurch zur Kunst erhoben? Und wo bleibt der Wert des originalen Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit? „Big Eyes“ ist eine unbeschwerte und herrlich skurrile Komödie über Kunst und Kitsch, Kultursnobismus, Sexismus und künstlerische Eifersucht, freilich ohne diese Themen jemals in der Tiefe zu ergründen.
Die (fast) wahre Geschichte beginnt in San Francisco der späten 1950ziger Jahre. Margaret (Amy Adams) ist eine etwas hilflos und unsicher wirkende junge Frau, die mit ihrer Tochter ihrer Ehe entflieht, um in San Francisco einen Neuanfang zu wagen. Mit der Malerei und dem Verkauf naiver Bilder versucht sie sich so gut es geht, durchs Leben zu schlagen. Schon bald erregt Margaret die Aufmerksamkeit Walter Keanes (Christoph Waltz), eines Immobilienmaklers und Sonntagsmalers, der seine eigenen Kunstwerke wie Margaret auf der Straße feilbietet – triviale Darstellungen geläufiger Pariser Straßenszenen rund um den Montmartre. Walters heitere Leutseligkeit scheint das Gegengift für Margarets zögerliche Passivität zu sein. Und so dauert es nicht lange, bis die beiden nach Hawaii fliegen und heiraten.
Schon bald wird freilich deutlich, dass Walters Geschichten über sein Leben als Künstler in Paris offenbar ebenso wenig belastbar sind wie seine beruflichen Erfolge als Immobilienmakler. Doch Walter macht diesen Mangel durch Charme, Eloquenz und ein ausgeprägtes Talent als Hausierer mehr als wett. Denn es gelingt ihm, seine Bilder und einige von Margaret im renommierten Hungry I Jazzclub auszuhängen, wo die Gäste zwar seine eigenen Arbeiten ignorieren, von Margarets naiven Portraitbildern aber fasziniert sind: einsame Straßenkinder, die oft weinend den Betrachter aus riesigen schwarzen Augen anblicken und seine Gefühle wecken.
Die Keanes verkaufen nicht nur einige dieser Porträts, mehr noch, Margarets Bilder werden schon bald zu einer wahren nationalen Sensation. Und während die etablierte Kunstkritik sie als erbärmlichen Kitsch verspottet, gelingt es Walter mit Hilfe eines befreundeten Kolumnisten (Danny Huston), dass bald auch Film-und Popstars zu ihren Bewunderern und Käufern zählen und ihre Wohnzimmer mit „Keanes“ verschönern. Und die breite Masse, die sich die teuren originalen Gemälde nicht leisten kann, an deren Genuss aber teilhaben möchte, kann diese schon bald als billige Poster und Postkarten kaufen. Doch der Erfolg hat seine Schattenseiten. Gefangen in einem düsteren Atelier in ihrer neuen Villa, schuftet Margaret rund um die Uhr, um den schier unersättlichen Markt mit immer neuen Bildern zu bedienen. Der Haken an der Geschichte ist freilich, dass Walter die als „Keane“ signierten Gemälde als seine eigenen ausgibt und Margaret zunächst zu schüchtern ist, diesem Irrtum entgegenzutreten und ihren Platz in der Kunstwelt zu behaupten.
Für „Big Eyes“ hat Regisseur Tim Burton sich erneut mit den Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski zusammen getan, die schon häufig als Chronisten stumpfsinniger („Andy Kaufman“), obskurer („Ed Wood“) und obszöner („Larry Flynt“) Ikonen der US-Kulturszene in Erscheinung getreten sind. Wie schon in Burtons Meisterwerk „Ed Wood“ geht es auch hier um einen missverstandenen Künstler und einen Betrug. Während die Welt da draußen glaubte, dass die „Keanes“ das Werk Walter Keanes waren und dieser alles unternahm, um diesen Glauben zu nähren, war die wahre Urheberin der Bilder dessen Frau Margaret. Die Gründe für diesen Betrug sind komplex und lassen sich nicht nur auf die charmanten Überredungskünste und Chuzpe Walters und der Naivität Margarets reduzieren, sondern haben gewiss auch mit den Strukturen der US-Gesellschaft der 60ziger Jahre, den Geschlechterrollen und der Arroganz des Patriarchats zu tun, das sich nicht vorstellen konnte, dass eine Frau Schöpferin der naiven Straßenkinder-Bilder sein konnte.
„Big Eyes“ ist Burtons wohl intimster und subtilster Film seit „Ed Wood“ (1964), als dessen Gegenstück er geradezu erscheint. Mit großem handwerklichem Können und in schönen opulenten Bildern erzählt Burton die merkwürdige Geschichte von Menschen, deren Arbeit andere schnöde als Kitsch abtun. Dabei geht Burton auf ironische Distanz zu seinen Figuren, doch dies geschieht stets liebevoll, ohne jegliche Häme und ohne Partei zu ergreifen. Selbst Walter Keane wird, wiewohl er gelegentlich unheimlich wirkt, nicht als schäbiger Halunke gezeigt, sondern eher als ein Mann, der an seiner Mittelmäßigkeit leidet und dieser nicht entkommt. Diese Distanz, die suggeriert, dass für die Protagonisten letztlich nicht viel auf dem Spiel steht, ist vielleicht die einzige Schwäche des Films. „Big Eyes“ endet mit einer Schlacht der miteinander verfeindeten Keanes im Gerichtssaal, bei dem es um die Klärung der wahren Urheberschaft der Keanes-Bilder geht. Doch Burton inszeniert diese als absurde Komödie, wobei Walter in seinem impertinenten Selbstbetrug merkwürdig clownesk wirkt. Trotzdem überzeugt „Big Eyes“ allemal als unkonventionelle und subversive Alternative zu den herkömmlich Biopics.
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Ab 23.4. 2015 im Kino
Foto oben: © Silverwood Films