Berlin Alexanderplatz – Filmtipp

Döblins Berlin Alexanderplatz aus dem Jahre 1929 gehört zu den innovativsten Romanen der deutschen Literatur. 1931 wurde er mit Heinrich George in der Rolle des Franz Biberkopf verfilmt. Rainer Werner Fassbinder machte 1979/1980 aus der literarischen Vorlage eine vielbeachtete 13-teilige Mammutfassung für das Fernsehen.

Jetzt hat der 39-jährige deutsch-afghanische Regisseur Burhan Qurbani den Roman neu verfilmt. Sein BERLIN ALEXANDERPLATZ ist ein mutiger Film, der in opulenten Bildern und rauschenden Farben schwelgt und die einhundert Jahre alte Geschichte in einen anderen Kontext stellt. Aus Franz Biberkopf wird hier Francis (Welket Bungué), ein Geflüchteter aus Guinea-Bissau. Als einziger Überlebender einer illegalen Überfahrt aus Afrika wird er irgendwo an einen Strand in Südeuropa gespült und schwört bei Gott einen Eid: Von nun an will er ein neuer, besserer Mensch sein und ein anständiges Leben führen. Bald darauf verschlägt es ihn nach Berlin, wo ihm schnell klar wird, wie schwer es ist, rechtschaffen zu bleiben, wenn man als illegaler Flüchtling in Deutschland ohne Papiere und ohne Arbeitserlaubnis lebt. 

Welket Bungué und Albrecht Schuch im Film Berlin Alexanderplatz © 2020 eOne Germany

In einem heruntergekommenen Flüchtlingsheim, wo Francis zusammen mit anderen afrikanischen Flüchtlingen haust, lernt er den charismatischen, dämonischen Dealer Reinhold (Albrecht Schuch) kennen, der für den Drogenbaron Pums (Joachim Król) arbeitet. Reinhold will Francis für seine Drogengeschäfte anwerben, lockt ihn mit der Aussicht auf leicht verdientes Geld, eine eigene Wohnung und ein Auto. Doch Francis widersteht zunächst der Versuchung, hält an seinem Eid fest und will sich nicht in die Machenschaften seines neuen Freundes hineinziehen lassen. Doch auf die Dauer kann er sich nicht den Verlockungen der kriminellen Unterwelt entziehen. Und so kommt es, dass er schon bald als Gegenleistung für einen versprochenen Pass Drogen in der Berliner Hasenheide vertickt und sein Leben außer Kontrolle gerät.

Berlin Alexanderplatz
In Berlin Alexanderplatz spielt Jella Haase die Mieze und Welket Bungué Francis

Qurbanis BERLIN ALEXANDERPLATZ ist ein meisterhaft konzipierter filmischer Kommentar zu der bedrückenden Situation schwarzer Immigranten in Berlin und zum rassistischen Umgang der Stadt mit ihnen. Kaum eine Szene scheint übertrieben. Der schwunghafte Drogenhandel in der Hasenheide gehört ebenso zum tristen Alltag der Stadt wie die schwülen, neobeleuchteten Bordelle, lauten Techno-Clubs und Exzesse, die das Lebensgefühl der Goldenen Zwanziger Jahre wieder aufleben lassen, in denen der Roman spielt.

Diesen komplexen Hintergrund nutzt der Film, um Francis‘ Seelenzustand zu erforschen. Welket Bungué ist in seiner Rolle als afrikanischer Immigrant brillant, verkörpert gekonnt den inneren Kampf seines Helden zwischen dem Gutsein, zu dem er sich verpflichtet hat, und der allmählichen Hingabe an das Böse.

Oscar Wildes berühmte Maxime, dass der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, darin bestehe, ihr nachzugeben, scheint hier einmal mehr zu gelten. Wie sehr er sich auch anstrengt, den Fängen der Unterwelt entkommt Francis nicht. Man kann es ihm kaum verübeln angesichts der dämonischen Verführungskraft von Reinhold, den Albrecht Schuch meisterhaft mit einer Mischung aus leiser Drohung und narzisstischer Verletzlichkeit spielt. Und der Unmöglichkeit, in einer Welt gut zu sein, die anständige Menschen ablehnt und zerstört.

Alexander Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ war und ist Pflichtlektüre für deutsche Abiturientinnen und Abiturienten. In einer Zeit, in der Fremdfeindlichkeit und Rassismus aufflammen, sollte Burhan Qurbanis Neuverfilmung zum Pflichtfilm gemacht werden, weil er ein mutiges Plädoyer gegen das Wegschauen ist. 

Fotos: © 2020 eOne Germany

Hans Kaltwasser
Hans Kaltwasser
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