Über ein Jahrzehnt ist seit dem letzten Album von Bell Orchestre vergangen. Manche Fans mögen schon befürchtet haben, dass sie nie wieder neue Musik des Kollektivs aus Montreal hören würden. Doch dann wurde im Herbst vergangenen Jahres bekannt, dass die Band bei Erased Tapes unter Vertrag steht und schon bald mit einem neuen Album zu rechnen sei. Das Warten hat ein Ende. Mit HOUSE MUSIC, das am 19.3.2021veröffentlicht wurde, meldet sich das Sextett endlich zurück.
Gleich in mehrfacher Hinsicht ist das Album ungewöhnlich. Der Titel ist weder programmatisch noch als Referenz auf einen Song der Jungle Boys zu lesen, sondern ganz wörtlich zu nehmen. HOUSE MUSIC entstand im Landhaus der Violinistin Sarah Neufeld in Vermont, wo die Mitglieder der Band in getrennten Räumen improvisieren und ihre kreativen Impulse entfalten konnten. Nach zwei Wochen der kollektiven Isolation kamen sie zu einer 90-minütigen Improvisationssession zusammen, bei dem sich eine wahre Galaxie von Klängen, Geräuschen, melodischen Phrasen und hymnischen Gesängen entspann, die später zu dem 45-minütigen Album zusammengefügt wurde. Konzeptionell liegt dem Album die Idee zugrunde, das Spontane, den unwiederbringlichen Augenblick des kreativen Schaffensprozesses festzuhalten.
Alle zehn Tracks des Albums gehen nahtlos ohne Pause ineinander über. Zusammengehalten werden sie durch einen rhythmischen Loop, zu dem die Band in einem Tempo spielt und der immer wieder in den späteren Abschnitten des Albums auftaucht. Neufelds Geige bricht zwischendurch zu brachialen Alleingängen aus, wobei ihre Finger in atemberaubender Geschwindigkeit über das Griffbrett jagen und der Violinbogen wie wild über die Saiten hüpft. Reed Parrys Bass klingt manchmal perkussiv wie eine Trommel und Drummer Stefan Schneider lässt seine Becken krachen und erzeugt mit den Wirbeln auf seinen Toms eine dichte Atmosphäre.
Wenngleich man das Album geschlossen als eine Einheit hören sollte, lassen sich doch einzelne ungewöhnliche Tracks herauspicken, die auch für sich genommen einen Sinn ergeben. Beispiele hierfür sind das verschlungene, vor Energie strotzende Stück „Dark Steel“, bei dem Neufelds Geige zu einem furiosen Totentanz aufspielt und Kaveh Nabatians Trompete am Ende wie aus einem epischen Morricone-Soundtrack klingt.
Der Titel „What You’re Thinking“ mit seiner wohlklingenden Kakofonie aus rollenden Drum Fills, furiosen Violinen-Linien, schneidenden Pedal-Steel-Gitarren, Keyboards und Elektronik bereitet den Weg für „Movement“, das Herzstück des Albums vor.
HOUSE MUSIC ist ein Album mit einer unglaublich ehrgeizigen Vision und von außergewöhnlicher Musikalität. Wahrscheinlich dürfte es in diesem Jahr nur wenige Veröffentlichungen geben, die es ihm in Bezug auf Innovation und Ungewöhnlichkeit seiner Komposition und seines Aufnahmeprozesses gleichtun werden.
Music House ist in diesen Formaten erhältlich: LP – CD – DL
Label: Erased Tapes
Vertrieb: Indigo