ALICE COOPER: PARANORMAL

Schon ziemlich früh musste dem Pfarrersohn Vincent Damon Furnier, besser bekannt als Alice Cooper, klar gewesen sein, dass er es mit seinem krähenartigen Gesicht wohl schwer haben würde, zum meistfotografierten Beau der Rockszene zu werden. Das mag ihn dazu bewogen haben, die Rolle des Bürgerschrecks und personifizierten Bösen im Rock’n‘ Roll-Zirkus zu spielen, der bei seinen Auftritten eine wahre Horrorshow mit viel Kunstblut, Guillotinen, elektrischen Stühlen, Schlangen und zerhackten Babypuppen inszenierte und on top of it seine eigene Hinrichtung auf der Bühne zelebrierte. Manchmal gar unter Einsatz seines Lebens.

The Master of Shock ist eigentlich ein netter Typ

Im Laufe der Jahre wurde jedoch bekannt, dass „The Master of Shock Rock“, anders als sein Titel „No More Mr. Nice Guy“ vermuten lässt, eigentlich ein ziemlicher netter Mensch ist, der sich nach eigenem Bekenntnis inzwischen zu einem eifrigen Kirchgänger gewandelt hat und heute lieber die Bibel liest als sich Horror- und Snuffvideos reinzuziehen.
Tatsächlich ist die düstere anarchistische Bedrohung, die seinen frühen Hits anhaftete und die altehrwürdige BBC einst veranlasste, Song und Video von „School’s Out“ auf den Index zu setzen, längst einer gepflegt-manierierten Theatralik gewichen, die angesichts der blutigen, gewalttätigen Bilder aus der realen Welt, mit denen uns die Medien tagtäglich überfluten, geradezu harmlos wirkt.

Das wird an Coopers jüngstem Album PARANORMAL deutlich, das am 28. Juli 2017 in die Läden kommt. Denn die Geschichten über paranormale Aktivitäten und paranoische Persönlichkeiten, die Cooper hier erzählt, vermögen ebenso sehr zu erschrecken wie die Aufführung des „Phantoms der Oper“ einer vierten Grundschulklasse. Und dennoch überzeugt das zwei CDs umfassende Album PARANORMAL, das mit tollen Rocksongs, knackigen Hooks, treibenden Drums und viel theatralischem Bombast überrascht, voll und ganz.

Album mit packenden Rocksongs

Der titelgebende Song „Paranormal“ auf der ersten CD eröffnet mit schönem Fingerpicking, baut sich dann aber nach und nach zu einem packenden Rocksong mit hymnischen Refrains, pumpenden Bässen, treibenden Drums und siedend heißen Gitarrensoli auf. Auch die Titel „Fireball“ – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Stück von Deep Purple – und „Rats“ sind wunderbar eingängige Rocksongs, während das schon fast subversive „Genuine American Girl“ mit tänzelnden Rhythmen und eingängigen Girl-Group-Harmonien überrascht. Den Abschluss der ersten CD bildet der leicht psychedelisch angehauchte Titel „The Sound of A“.

Lächerliche Texte, die schon fast wieder gut sind

Klar, dass die Texte der Songs lächerlich sind, obwohl der Elan, mit dem Cooper sie ins Mikrofon haut, einen gewissen Kick hat.  „Paranormal“ stimmt den Hörer textlich auf die folgenden Nacht- und Grabgeschichten über seltsame, unerklärliche Phänomene ein, die eher an gekonnt gemachte B-Movies als an die X-Files-Serien erinnern. Der mit schönen trockenen Grooves garnierte Song „Dead Flies“ zieht eine wacklige Verbindung zwischen Coopers Absurditäten und vorsichtiger Kulturkritik, wobei er wie beim Himmel-Hölle-Spiel zwischen Kannibalismus und der Sorge um den Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter hin- und herhüpft. Im Titel „Fireball“ glüht Cooper vor hämischer, apokalyptischer Inbrunst, während der Song „Paranoiac Personality den Verdacht nährt, dass wir alle unsere dunklen  Geheimnisse vor den anderen verbergen.

Prominente Gastmusiker an Bord

Die zweite CD enthält zwei Stücke, die mit der originalen Band von Alice Cooper eingespielt wurden, jedoch eher in die Kategorie solider Durchschnitt fallen. Die restlichen Songs der zweiten CD werden von Live-Aufnahmen bestritten, unter ihnen natürlich der All Time Hit „School’s Out“.
Bob Ezrin (Pink Floyd, Deep Purple) führte Regie bei diesem sorgfältig in Nashville produzierten Album, für das sich Alice Cooper prominente Kollegen wie Billy Gibbons (ZZ TOP), Roger Glover (Deep Purple) und Larry Mullen Jr. (U2) ins Studio geholt hat.

FAZIT: Mit PARANORMAL stellt Alice Cooper klar: Wer da glaubt, dass seine Musik ihren Biss verloren hat, wird eines Besseren belehrt. Lauter, rotziger Rock kommt eben niemals aus der Mode.

Alice Cooper
„Paranormal“

VÖ: 28.07.2017
Label: earMUSIC
Formate: 2CD Digipak, 2LP, Limited Boxset, Digital

Standardbild
Hans Kaltwasser
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