VOR DER MORGENRÖTE

Der Episodenfilm zeigt in sechs Stationen den berühmten österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig und seine  letzten Jahre im Exil. Die ersten Szenen  fangen mit nur wenigen Bildern die Atmosphäre dieser Zeit in diesem Land ein: 1936, Stefan Zweig (Josef Hader) ist zu einem Bankett bei Minister Soares (Virgílio Castelo) in Rio de Janeiro geladen. Eilig werden die letzten Blüten auf dem opulenten Blütenmeer in der Mitte des Tischs zurechtgezupft und die letzten Handgriffe getan….

Dann betreten Stefan Zweig und die anderen Gäste den Raum. Der Botschafter spricht eine Grußadresse, Zweig bedankt sich und richtet sich an die geladene Gesellschaft, signiert lächelnd Bücher, beantwortet höflich Fragen.

Stefan Zweig Foto aus dem Film
© X Verleih Stefan Zweig (Josef Hader) beim Bankett mit Minister Soares (Virgílio Castelo) in Rio de Janeiro

[su_quote]Sechs Jahre danach ist Stefan Zweig tot.[/su_quote]

Der Übergang zur nächsten Filmepisode wird großartig in Szene gesetzt: Pferde galoppieren über eine Rennbahn, wobei sich die Kamera auf die Beine und Hufe der Pferde fokussiert, die immer schneller werden – eine visuelle Metapher auf die galoppierende Gefahr, in der sich Europa befindet, die der Schriftsteller wohl geahnt hat.

Die Regisseurin Maria Schrader begleitet den Schriftsteller auf seiner ruhelosen Reise, die ihn von seinem geliebten Europa entfernt. Gespräche mit Presseleuten, die von ihm eine klare Stellungnahme erwarten und den Zwiespalt aufzeigen, in dem sich Stefan Zweig befindet: Hat ein Intellektueller die Pflicht, sich unmittelbar zu politischen Fragen zu äußern und die heraufziehende Nazi-Diktatur zu verurteilen? Zweig lehnte dies ab,obwohl seine Bücher zu den Werken gehörten, die 1933 auf dem Bebelplatz in Berlin verbrannt wurden. Stattdessen formuliert er, dass er als  Schriftsteller nur positiv Stellung nehmen kann, nur für etwas sein will. Vor allem scheut er, als Mätyrer hingestellt zu werden.

Stefan Zweig (Josef Hader) auf dem P.E.N. Kongress in Buenos Aires
Stefan Zweig (Josef Hader) auf dem P.E.N. Kongress in Buenos Aires
Stefan (Josef Hader) und Friderike Zweig
© X Verleih
Stefan (Josef Hader) und Friderike Zweig ( Barbara Sukowa) in New York

Immer mehr Menschen erwarten derweil Hilfe von ihm. Wenden sich in ihrer Not an ihn. Zweig fühlt sich überfordert und schwankt zwischen wütender Verzweiflung und Ohnmacht. Josef Hader versteht es brillant, diese widersprüchlichen Gefühle darzustellen.

Stefan Zweig und Ernst Feder
Ernst Feder (Matthias Brandt) trifft auf Stefan Zweig. Er ist mit seiner Frau ebenfalls in Petrópolis untergekommen. © X-Verleih

Der Film weist Ähnlichkeiten mit der heutigen Zeit auf. Jetzt sind ebenfalls viele Menschen auf der Flucht und suchen Zuflucht in Europa, doch nicht ganz Europa ist dazu bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen. Zu Zeiten des Hitlerregimes flohen die Menschen vor der Diktatur und wollten fort aus Europa – explizit aus Deutschland.

In seinem Abschiedsbrief schrieb Zweig, dass er „aus freiem Willen und mit klaren Sinnen“ aus dem Leben geschieden ist. Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“ und seine Heimatlosigkeit hatten ihn völlig erschöpft.

Am Ende des Films wird die erschütternde Tatsache, dass sich Stefan und Lotte Zweig das Leben genommen haben, subtil inszeniert: Der Zuschauer kann nur indirekt über einen Schranktürspiegel einen Blick auf die leblosen Gestalten der beiden werfen…

Das Drehbuch schrieb Maria Schrader gemeinsam mit Jan Schomburg (ÜBER UNS DAS ALL, VERGISS MEIN ICH). Gedreht wurde die deutsch-französisch-österreichische Koproduktion im Sommer 2015 in Halle und Umgebung, Berlin, Sao Tomé und Lissabon

„Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika“ ist ein sehr beeindruckender Film über einen empfindlichen und empfindsamen großen Schriftsteller. Maria Schrader hat mit einem ebenso empfindsamen und sicheren Gespür, die wesentlichen Momente dieser letzten Jahre des Schriftstellers mit wunderbaren Bildern künstlerisch in Szene gesetzt.

VOR DER MORGENRÖTE – Stefan Zweig in Amerika

Kinostart: 2. Juni 2016 im X VERLEIH

Alle Fotos X Verleih

Standardbild
Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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