Unterwerfung – Michel Houellebecq

Der Literaturwissenschaftler François, 44 Jahre alt, lebt als Single im chinesischen Viertel von Paris. Seine Dissertation über den Literaten Joris-Karl Huysmans hat ihn zu einem gefragten Experten gemacht und ihm eine Anstellung an der Sorbonne eingebracht. Die siebenjährige Beschäftigung mit Huysmans hat zudem eine tiefe geistige Verbindung geschaffen, die die Einsamkeit des Protagonisten ein wenig abschwächt. Denn der hat weder wirkliche Freunde, noch eine stabile Liebesbeziehung. Als Dozent hat er zwar in jedem Studienjahr eine Beziehung mit einer anderen Studentin gehabt, die zuletzt Myrjiam hieß. Doch diese ist so kurz angelegt, wie jede andere zuvor. Seine Lehrtätigkeit hat François jeweils auf den Mittwoch gelegt, denn insgesamt ist seine Begeisterung für die Lehre eher mäßig. So kennzeichnen Überdruß und depressive Langeweile sein Lebensgefühl.

Parallel zur Geschichte François finden in Frankreich die Präsidentschaftswahlen statt, die mit einer Überraschung enden. Die sonst übliche Aufteilung der Macht in Mitte-links – oder Mitte-rechts-Regierungen hat eine dritte Kompenente erhalten. Die Bruderschaft der Muslime ist in der unglaublichen Position, einen Präsidentschaftskandidaten zu stellen. Langsam, aber mit sicherem Erfolg, hatte sie sich durch ihre stete Arbeit in Jugendverbänden und sozialen Gruppen ein stabiles Netzwerk aufgebaut und auch konfessionsunabhägige Wähler überzeugen können. Die Front National und die Bruderschaft der Muslime stehen sich nun im Duell gegenüber.

Die Flucht aus Paris

François kehrt während der Wahltage Paris den Rücken, um in der sicheren Provinz die Ergebnisse abzuwarten. Dort trifft er auf den Ehemann einer Kollegin von der Universität. Die ersten Veränderungen sind nun spürbar geworden, denn der Geheimdienstler wurde zwangspensioniert. Auch für François und seine Universitätskollegin ist vorerst kein Arbeiten an der Universität möglich – sie bleibt geschlossen. Ohne Myrijam, die inzwischen mit ihrer Familie nach Israel ausgewandert ist, und ohne seine Dozententätigkeit verfällt Francois in eine noch tiefere Depression. Seine Zukunftsvisionen sind düster, währenddessen verändert sich auch das Stadtleben.

Huysmans Vermächtnis

In geschickter Weise wird das Leben des Schriftstellers Huysmans und dessen Romanfiguren dem des Protagonisten an die Seite gestellt und an manchen Stellen weisen sie Gemeinsamkeiten auf, etwa ihm Sexualleben, der Ehelosigkeit und schließlich in Huysmans` Konvertierung. Zudem wirken die auszugsweisen Schilderungen verschiedener Werke Huysmans wie Hilfswerkzeuge Houellebecqs für eine ironische Kultur- und Gesellschaftskritik. Die jedoch beispielhaft auch in der Romangegenwart zu finden ist. So haben La Perla Boutiquen in Paris weiterhin ihre Daseinsberechtigung, da die muslimische Frau am Abend ihren Mann mit durchsichtigem BH und Tanga empfängt. Anders die berufstätige Französin, die am Abend erschöpft in ihre Jogginghose schlüpft.

Die Unterwerfung oder das Paradies auf Erden

Die Bruderschaft der Muslime hat ihren Kandidaten durchgesetzt und zahlreiche Reformen, insbesondere im Bildungswesen nehmen ihren Anfang. François, vor die Wahl gestellt, zu konvertieren oder sich frühpensionieren zu lassen, entscheidet sich für die Pension. Ungläubig konstatiert er, dass er mit nur 44 Jahren sein universitäres Berufsleben beendet hat.
Dann erreicht ein Brief der Bibliothèque de la Pléáde den immer zurückgezogener lebenden François. Sein Expertenwissen ist gefragt. Er soll ein Vorwort zu Huysmans Werk verfassen. Doch eigentlich steckt mehr dahinter, schließlich steht wieder die Frage seiner Konvertierung zum Islam zur Entschedung an, mit den Versprechungen einer Polygamie und einem weitaus höheren Einkommen als Angehöriger der Universität. Der Dekan der Universität weiß viel Überzeugendes über die Freuden eines Konvertierten zu erzählen. Er lebt mit Vergnügen und drei Frauen in einem palastähnlichen Gebäude, das einst von Dominique Aury bewohnt wurde, Autorin der „Geschichte der O“. Was gibt es Schöneres, als die weibliche Unterwerfung? – so der Gelehrte.

Was gibt es Besseres als die Gleichberechtigung und diese Satire, die dennoch so eindringlich beschreibt, wie nahtlos es in einer Gesellschaft gelingen kann, kulturelle Werte und Errungenschaften zu demontieren oder zu opfern, wenn gleichgültige und überdrüssige Menschen keinen Widerstand leisten und die Medien trotz Meinungsfreiheit lieber schweigen. Die Beschreibung einer europäischen Zukunft, die zum Nachdenken anregt und von Beginn an fesselnd ist. Sehr empfehlenswert!

Michel Houellebecq
Unterwerfung

Roman
Aus dem Französischen von Norma Cassau, Bernd Wilczek
ISBN 978-3-8321-9795-7
Verlag: Dumont

Michel Houellebecq wurde 1958 geboren. Er gehört zu den wichtigsten Autoren der Gegenwart, seine Bücher werden in über vierzig Ländern veröffentlicht. Zuletzt erschienen der mit dem renommiertesten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausgezeichnete Roman »Karte und Gebiet« (2011), der Gedichtband »Gestalt des letzten Ufers« (2014) sowie sein Roman »Unterwerfung« (2015).

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Ingrid
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