Toumani Diabaté and the London Symphony Orchestra: „Kôrôlén“

Wenn improvisierende Musiker und klassische Orchester zusammenarbeiten, kann es schon mal zum kakophonischen Kulturclash kommen. Die Darbietung wirkt dann unzusammenhängend, zerrissen, dissonant, wie ein musikalisches Gegenstück zum cut and paste.  Dass aber auch das Gegenteil der Fall sein kann, zeigt das neue Album des malischen Musikers Toumani Diabaté, das heute unter dem Titel „Kôrôlén“ erschienen ist. Es umfasst sechs Live-Mitschnitte eines Konzertes im Barbican im Oktober 2008, bei denen Diabaté und seine kleine malische Band, begleitet vom London Symphony Orchestra (LSO), die Führung übernahmen. Die Orchesterarrangements stammen von Ian Gardiner und Nico Muhly.

Diabaté entstammt einer alten Griot-Familie, einer Kaste von Berufsmusikern und Geschichtenerzählern, die in den schriftlosen Gesellschaften Westafrikas eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Wissen hatten. Obwohl in der traditionellen Musik Malis verwurzelt, sind Diabaté, der unter anderem James Brown zu seinen Vorbildern zählt, genreübergreifende Kollaborationen mit Grenzgebieten zum Flamenco, Blues, Jazz und weiteren internationalen Stilrichtungen durchaus nicht fremd. Die Kora, eine mit beiden Händen gezupfte 21-saitige Stegharfe, erlernte er bei seinem Vater. Heute gilt Diabaté als der beste Koraspieler der Welt.  

Der Albumtitel „Kôrôlén“ bedeutet in der Mandinka-Sprache so viel wie „Ahnen“. Ein passender Name für ein Werk, das uralte Griot-Melodien und klassische westliche Orchesterarrangements kongenial zusammenbringt mit dem Ergebnis eines ergreifend schönen, frischen neoklassischen Klangs, der Bewunderer afrikanischer Musik ebenso wie Liebhaber neoklassischer Kompositionen etwa im Stil von Max Richter ansprechen dürfte.

Das LSO scheint dabei auf den ersten Blick für das Spiel des Solisten eher wuchtig besetzt. Aber unter dem exzellenten Dirigat von Clark Rundell begleiten die Musiker ihren Kollegen aus Mali achtsam und lassen ihm und seinen Mitstreitern gebührenden Raum zur Entfaltung.

Das Stück „Hainamady Town“, mit dem das Album eröffnet, basiert auf einer Melodie, die Diabaté in sein Diktiergerät gesungen hat und dann von Gardiner orchestriert wurde. Vorsichtig tastet sich die Kora durch die Noten, intim und persönlich, wirft forschende Phrasierungen aus, um sich dann in einem festen Rhythmus und einer Melodie zu verankern. Sanft taucht dann das Orchester auf, wobei zuerst die Flöte, dann die Celli kaum hörbar ihre Wege durch die Klanglandschaft ertasten.

Das orchestrale Arrangement für den Titel „Mama Soraka“ wurde von dem gefeierten US-Komponisten Nico Muhly geschrieben, dessen Handschrift kantiger und weniger pastoral als die Gardiners ist. Hier wird Diabatés Kora von einer hohen Oboe umrahmt, während sich die Streicher wie sanfte Wellen kräuseln, bevor sich das drängende Balafon gebieterisch zur Wort meldet.

„Elyne Road“ wurde von dem Song „Kingston Town“ der britischen Band UB40 inspiriert. „Cantelowes Dream“ zitiert neckisch verzögernd Morricones Thema „The Good, the Bad and the Ugly“, während im Song „Mamadou Kanda Keita“ der gefeierte Griot Kasse Mady Diabaté mit seinem schönen, ausdrucksstarken Gesang für wohltuende Gänsehautgefühle sorgt.  

Mit seinem Album Kôrôlén fordert Toumani Diabaté dazu auf, die  „afrikanische Musik auf eine neue Art zu betrachten“. Doch Kôrôlén tut weitaus mehr als das. Es zeigt, wie verschiedene Kulturen zusammenkommen können, um einen Geist der gemeinsamen Menschlichkeit zu finden, der die Barrieren, die uns trennen, überwindet. Und das war noch nie so nötig wie heute.

TOUMANI DIABATÉ & THE LONDON SYMPHONY ORCHESTRA „KÔRÔLÉN“

VÖ: 23.04.2021   WORLD CIRCUIT | BMG

Standardbild
Hans Kaltwasser
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