Nymphomaniac – Filmkritik

Ein Mittwoch-Abend im Arthouse-Kino um die Ecke. Über 4 Stunden „Nymphomaniac“, das seit Monaten gehypte neue Werk des Lars von Trier in der deutschen Fassung als Sonder-Vorstellung.

Ein Mittwoch-Abend im Arthouse-Kino um die Ecke. Über 4 Stunden Nymphomaniac, das seit Monaten gehypte neue Werk des Lars von Trier in der deutschen Fassung als Sonder-Vorstellung. Sondervorstellung, weil der 2. Teil regulär erst im April in deutschen Lichtspielhäusern zu sehen ist.

Was bleibt außer einem Koffeinrausch und zwei arg malträtierten Gesäßbacken?

Zunächst einmal die Erkenntnis, dass der Skandalfaktor nicht annähernd so groß ist, wie einen die Vorankündigungen haben vermuten lassen. Zwar sind durchaus einige Genitalien (von Pornodarstellern) in Nahaufnahme zu sehen und auch die Hauptdarsteller zeigen vollen Körpereinsatz, der große Skandal blieb allerdings aus. Laut der netten Ansprache des Kinoleiters wird man darauf wohl warten müssen bis der Director´s Cut veröffentlicht wird, welcher bereits auf der Berlinale zu sehen war.

Zum Zweiten, dass von Trier mit Nymphomaniac ein über weite Strecken sehr ansprechendes Stück Arthouse-Kino gelungen ist! Lediglich das letzte Viertel konnte nicht so recht überzeugen… aber dazu später mehr.

Der Inhalt lässt sich schnell zusammenfassen:

Die Rahmenhandlung bildet ein Gespräch zwischen der nymphomanischen Hauptperson „Joe“ (von Triers Muse Charlotte Gainsbourgh) und dem etwas teilnahmslos wirkenden älteren Junggesellen namens „Seligmann“ (Stellan Skarsgard).

Photo by Christian Geisnaes
Joe und Seligmann © Christian Geisnaes

Joe erzählt dem ihr fremden Seligmann, der sie bewusstlos in einer Gasse aufgefunden und in seine Wohnung gebracht hat, von Ihrer Lebensgeschichte. Da die Rahmenhandlung beinahe gänzlich in Seligmanns Wohnung spielt, entwickelt sich für den Zuschauer das Gefühl, einem Kammerspiel im Theater beizuwohnen, was wohl der bereits bekannten künstlerischen Reduktion von Triers geschuldet ist (siehe Dogma-Regeln).

 

Stacy Martin
Stacy Martin
© Bruno Deniel-Laurent

Die Hauptgeschichte erzählt in 8 Kapiteln von dem Leben, der Lust und dem Leiden der lebenshungrigen Joe von der frühen Kindheit, über das junge Erwachsenenalter bis hin zur Reife der Endvierziger. Den Großteil der Leinwandzeit füllt hierbei die Schauspiel-Newcomerin Stacey Martin, die mit ihrem schüchternen, aber leicht verschlagenen und frivolem Spiel vollends zu überzeugen weiß. Dieser Teil der Lebensgeschichte ist bis auf ein Kapitel, das den Tod behandelt, größtenteils vergnüglich und leicht bekömmlich geraten. Ab einem inhaltlichen Schnitt, der etwa zur Hälfte des Films eintritt, übernimmt dann Gainsbourgh die Rolle, die ihren Part wesentlich düsterer und abgründiger spielt. Dies macht durchaus Sinn, da gleichzeitig auch Joes Leben eine drastische Wendung nimmt.Die gesamte Lebensgeschichte wird hierbei nicht linear erzählt, sondern anhand von Assoziationen Joe´s angestoßen, immer wieder durch Zwischenfragen und Einwände Seligmanns unterbrochen und an anderer Stelle wieder aufgenommen. Hierbei bieten sich dem Filmemacher immer wieder Möglichkeiten, filmische Stilmittel, erheiternde oder erhellende Einblendungen sowie theoretische Exkurse in das Geschehen einzubinden.

Foto: Georges Biard
Lars von Tier © Georges Biard

Somit erzählt der Film nicht nur die Geschichte der Hauptfigur, sondern gibt immer wieder Einblicke in das filmische Können von Triers, aber vor allem in dessen persönliche Ansichten über die Sexualität, die Kunst, die Religion, die Gesellschaft, das Leben und den Tod.Er schafft sich mit seinem, durchaus als Opus Magnum zu bezeichnenden, Werk eine Plattform, um mit einigen Themen abzurechnen, die ihm seit geraumer Zeit auf dem Herzen gelegen haben müssen. Neben seinem Plädoyer für mehr Toleranz gegenüber Andersdenkenden und für ein selbstbestimmtes Leben, wird in einer Szene überdeutlich auf seinen „Nazi-“Eklat bei den Filmfestspielen in Cannes eingegangen. Hier nutzt er das Medium Film, um Dinge anzusprechen, die er sich in der Öffenlichkeit nicht mehr vorzubringen traut, weil er missverstanden werden könnte.

So lässt er Joe darüber reflektieren, dass das Verbot bestimmter „Unworte“ (hier „Neger“) zur Aushöhlung der in der Gesellschaft angeblich so wichtigen Demokratie führt. Kurz darauf lässt er Seligmann philosophieren „Derjenige, der ‚richtig‘ sagt und ‚falsch‘ meint,wird bejubelt, derjenige der ‚falsch‘ sagt und ‚richtig‘ meint, wird verhöhnt.“

Deutlicher lässt sich seine abschließende Meinung zum Umgang gewisser Medien mit ihm als öffentliche Person nicht ausdrücken.

Seine anderen Exkurse, die meist über Seligmann eingeleitet werden, erscheinen mal gelungener, wie der Vergleich einer erfüllten Sexualität mit einem gut aufeinander abgestimmten polyphonen Musikstück, mal arg weit herbeigeholt, wie der Vergleich des Männer-“Fangens“ mit dem Angelsport. Insgesamt sind es aber gerade diese eingestreuten philosophischen Themen, die neben der durchaus ansprechenden Handlung nachhallend in Erinnerung bleiben und den Film zu etwas Besonderem machen. Ein Kinobesuch mit mehreren Freunden bietet genügend Gesprächs- und Diskussionsstoff für einige Wochenenenden.

An filmischen Stilmitteln fährt der Regisseur auch einiges an Geschütz auf. So veranschaulicht er das Ausgesprochene (und auch Unausgesprochene) anhand von bildgewaltiger Symbolik (siehe Baum auf dem Hügel) oder raffinierten Splitscreen-Montagen. Er lässt sich auch immer wieder zu kleinen augenzwinkernden Schelmereien verleiten, wie eine Szene, welche als Hommage an sein vorletztes Werk „Antichrist“ zu verstehen ist, die den insgesamt immer depressiver werdenden Tonfall des Films erfolgreich aufzulockern versuchen. Man merkt dem Werk an, dass dem Filmemacher alle Freiheiten gelassen wurden um sich nach eigenem Gutdünken auszutoben, und er diese auch genüsslich nutzte.

© Concorde Filmverleih 2014
© Concorde Filmverleih 2014

Zum Ablauf der Story ist zu sagen, dass von Trier versucht, darin möglichst viele gegensätzliche Themen abzudecken, aber trotzdem zu einem von ihm vorbestimmten konsequenten Ende und einer damit verbundenen Aussage zu kommen, nämlich, dass die Sexualität eine wertfreie, extrem starke und unbändige Kraft ist, die sich mit aller Macht ihren Weg bahnt. Gerade diesem einerseits spektrenreichen, aber andererseits immer wieder auf dieselbe Spur zurückdrängendem Storyverlauf ist es geschuldet, dass es immer wieder zu Szenen kommt, die einem mehr oder weniger konstruiert erscheinen.

Teilweise weiß von Tier diese Hürden mit erzählerischen Kniffen zu umschiffen, indem er z.B. Einwände des Zuschauers über eine unglaubwürdige Wendung durch eine offene Kritik Seligmanns vorweg und ihr somit den Wind aus den Segeln nimmt. Er verteidigt sogar offen eine Szenenkonstellation, bei der der Zufall eine etwas zu unrealistische Rolle spielt, mit Joe´s (sinngemäßen) Worten: „Was bringt Ihnen wohl mehr? Meine Geschichte, wie Sie sie glauben möchten oder wie Sie sie nicht glauben möchten?“. So geschickt er versucht die Ungereimtheiten dadurch zu schmälern (und ihm dies teilweise sogar gelingt), bleibt gerade wegen des extrem dick aufgetragenen letzten Part des Films, doch ein unbefriedigendes Gefühl im Zuschauer zurück, der den positiven Gesamteindruck des Films etwas trübt.

Nichtsdestotrotz überwiegen in Nymphomaniac die positiven Eindrücke.

Alle Schauspieler, sei ihre Leinwandzeit noch so gering, wissen ihre Rollen gekonnt auszufüllen. Unter dem Ensemble, das sich wie das Who´s who der letzten Werke von Tries liest, sind neben den exzellenten Hauptdarstellern vor allem Christian Slater und Uma Thurman (was für ein Auftritt!) hervorzuheben.

Photo: Zentropa
Grandios: Uma Thurman © Zentropa

 

Man merkt „Nymphomaniac“ ohnehin in jeder einzelnen Einstellung an, dass alle Beteiligten viel Herzblut in die Umsetzung gesteckt haben, um diesen Film zu etwas Besonderem zu machen.

Abschließend stellt sich also die Frage: „Sollte man diesen Film gesehen haben?“

Absolut ja!

Auch wenn Nymphomaniac einige Schwächen aufweist, sollte sich niemand, der etwas mit intellektuellem Kino anzufangen vermag, diesen bislang persönlichsten Film von Triers entgehen lassen. Gerade in einer Zeit, in der ein sinnentleerter Popcorn-Blockbuster den nächsten jagt, ist es wichtig, dass das Medium Kino wie hier wieder dazu genutzt wird, nicht nur möglichst bombastische Schauwerte zu liefern, sondern dem Zuschauer neue Sichtweisen zu vermitteln und nachhaltige Denkprozesse anzustoßen.

Dafür ein „Danke“ an Lars von Trier! 

Danke Lars!
Danke Lars! © 2014 Concorde Filmverleih GmbH
Standardbild
DavidGippert
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