MARTIN SCHOELLER im NRW-Forum Düsseldorf

Obdachlose zu fotografieren ist wie aufsuchende Sozialarbeit. Martin Schoeller auf die Frage, wie er damit umgehen konnte, sagt, dass er über einen längeren Zeitraum fotografiert hat und anschließende eine Pause brauchte, weil die Schicksale belasten. Doch der weltweit gefragte und bekannte Fotokünstler hat noch viele andere verschiedene Menschen vor seine Kamera bekommen. Berühmt geworden durch seine Close Up Methode, gelangen ihm hierbei einzigartige Porträts.

Niemand wird anders fotografiert, sondern alle sind, ob prominent oder nicht, vor der Kamera gleich, auch wenn sie im Ergebnis anders aussehen. Schoeller benutzt jedes Mal dieselbe Ausrüstung und identisches Licht, ähnliche Winkel und Entfernungen und widmet sich den Menschen, den unbekannten wie den allzu bekannten, mit der gleichen Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Was aber allen Porträtierten gemeinsam ist, sind die eigentümlichen Katzenaugen. Nur Größe und Farbe sind unterschiedlich.

Das NRW-Forum Düsseldorf widmet Martin Schoeller vom 28. Februar bis 17. Mai 2020 mit rund 170 Werken die bisher umfassendste Werkschau in Deutschland.

Prominente wie Taylor Swift oder Brad Pitt, Politiker*innen wie Angela Merkel, Bill Clinton und Barack Obama, die Zahl derer, die sich von ihm ablichten ließen, ist groß. Unbedingt möchte Martin Schoeller noch Keith Richards vor die Kamera bekommen, erzählt er während des Presserundgangs.

Der Fotograf berichtet von den Menschen, die aufgrund von Fehlurteilen in die Todeszellen US-amerikanischer Gefängnisse gerieten und schließlich freigesprochen wurden. Videos dieser Männer können in einem separaten Raum des NRW-Forums betrachtet werden, die auch hier wieder das vollständige Gesicht abbilden, das man als Foto an den Wänden wiederfinden kann. Einige sehen resigniert und zermürbt aus, andere lassen ein wenig Hoffnung in den Gesichtern erkennen.

In den kommenden Jahren möchte Schoeller weitere der bis heute 166 Menschen porträtieren, die in den USA zum Tode verurteilt und dann freigesprochen wurden. Er arbeitet mit der Organisation Witness to Innocence zusammen, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe in den USA einsetzt.

Auf meine Frage, ob er, wenn das Thema Menschen und Porträts einmal erschöpft sein sollte, sich einem anderen Thema zuwenden würde, beispielsweise Landschaften, sagte der in New York lebende Künstler, das könne er sich nicht vorstellen. Zu wichtig sei es für ihn, mit Menschen zu kommunizieren, und erwähnt hierbei die Fotosession im Amazonasgebiet, wo mit Stammeszeichen bemalte Kinder von ihm fotografiert wurden. Eine Art Identifizierung, denn dort erhalten Kinder erst nach einigen Jahren einen Namen.

„Welches seiner Fotos würden Sie sich selbst übers Bett hängen?“ „Jedenfalls kein Close Up Porträt“, so Schoeller, der nicht versteht, wie man sich das Porträt einer fremden Person an die Wand hängen kann.

Drag Queens ließen sich ebenso bereitwillig von ihm fotografieren. Nur eine Stunde brauchten sie, um ihre prächtigen Make-ups und Haar-Kunstwerke fertigzustellen. Doch auch sie wirken trotz der Maskerade auf den Fotos verletzlich und integer.

„Female Bodybuilders“ ist eine Fotoreihe, die er extra für die NRW-Forum Ausstellung gemacht hat. In einer Größe von etwa 150 Zentimetern hängen sie aneinandergereiht an den Wänden. Imposante Frauen, die einiges auf sich nehmen, um diese Körper zu erzielen, erklärt der Fotograf. Sie benötigen eine ausgeklügeltes Training und spezielle Ernährung. Bei einigen Frauen ist kaum noch erkennbar, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Allein das Bikini-Oberteil macht da den Unterschied, die Muskelpakete nicht.

Zu sehen ist zudem die Serie Identical, für die Schoeller Zwillingspaare und Vierlinge porträtiert hat. Erstaunliche Fotos, die fast schon dafür geeignet sind, wissenschaftliche Studien zu untermauern.

Eine besondere Überraschung verbarg sich hinter dem dunklen Vorhang eines kleinen Raums. Hier kann sich jeder selbst nach der berühmten Close Up Methode fotografieren. Die Fotos landen dann auf Instagram oder sind im NRW-Forum zu sehen.

Eine schillernde, sehr eindrucksvolle und umfassende Ausstellung: Momentaufnahmen von Menschen, die nicht verraten, wie viel Zeit und welche Gespräche dahinterstecken – wohl aber die große Begeisterung und ungeteilte Aufmerksamkeit, die der Fotograf allen seinen Modellen entgegengebracht hat. Ein toller Künstler und eine Ausstellung, die man unbedingt sehen sollte.

Die Ausstellung wird realisiert in Kooperation mit Crossover/Anke Degenhard.

28. Februar bis 13.9. 2020 im NRW-Forum Düsseldorf

Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen. Zudem gibt es eine Teller-Kollektion von Rosenthal – Rosenthal X Martin Schoeller DRAG QUEENS

Titelfoto: Martin Schoeller im NRW-Forum Düsseldorf © NRW-Forum Düsseldorf, Foto Katja Illner

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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