KRYONIUM – Die Experimente der Erinnerung

Gefangen in einem furchteinflößenden, schneeverwobenen Schloss befindet sich ein Mensch, von dem zunächst nicht klar ist, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Sicher ist jedoch, die Person im Roman Kryonium hat jegliche Erinnerung und Identität verloren. Warum ist sie hier und seit wann? Wer sind die anderen? Die Wachen, die sie jeden Morgen in ihr Labor bringen, damit sie dort an einer Glühlampe arbeiten kann, die größer ist und eine stärkere Leuchtkraft besitzt als je eine andere zuvor.

Das ist wichtig, denn nur so können das Schloss und seine Bewohner vor dem Ungeheuer geschützt werden, dass im nahe gelegenen Gewässer nur auf eine Gelegenheit wartet, das Schloss zu verschlingen. Gruselig und gefährlich ist auch die Hexe, die andere mit ihrem süß duftenden Gebäck und Jasmintee verführt, das Haus zu betreten, um ihr Opfer dann niemals mehr frei zu geben.

Und dann das Schloss selbst. Es birgt viele Geheimnisse und wirft schier unlösbare Rätsel auf. Doch eines Tages wacht die Person auf und alles hat sich geändert. Es ist 08:08 Uhr und beim ersten Blick fällt die Decke des Zimmers dem Betrachter scheinbar auf den Kopf. Wo vorher großzügige Höhen der Fenster und des Raumes waren, gibt es jetzt Gedrungenheit und Enge. Was ist passiert?

Bevor die Person weiter darüber nachdenken kann, tauchen auch schon drei weiß gekleidete Männer auf. Sie fragen nach ihrem Wohlbefinden. Doch eigentlich ist alles wie bisher. Ohne Erinnerungen und mit komplettem Identitätsverlust fühlt sich das Leben auch in der neuen Umgebung bedrohlich an. Doch immerhin erfährt sie, dass es sich um eine Psychiatrie-Einrichtung handelt und die Neuroleptika, die sie einnimmt, die Wahrnehmungsverzerrungen der Realität analog zu einer Schneekugel beheben sollen. Doch nun übernimmt der Fluchtgedanke wieder die Regie und setzt sich schließlich trotz aller Risiken durch. Aber es gibt kein Entrinnen, nur durch das Lösen grundsätzlicher Rätsel …

Zunächst sind auch die Leser*innen von der rätselhaften und märchenhaften Erzählung irritiert, aber zugleich auch gefangen genommen. Der All-Age-Roman wird zu einer fantastischen Reise durch Illusionen, Wahrnehmungstäuschungen und hin zu der Frage, was ist Realität eigentlich? Für einen Menschen in einem abgeschiedenen Kloster oder eine viel beschäftigte Businessfrau ist sie ohne Zweifel sehr unterschiedlich.

Sie ist höchst subjektiv und muss oftmals immer wieder neu zwischen den Menschen ausgehandelt werden. Und besonders Erinnerungen können täuschen. Doch Wahrnehmung und Erinnerungen sind identitätsstiftend. In digitalen und virtuellen Welten werden sie und damit auch die Realität einmal mehr auf eine harte Probe gestellt.

KRYONIUM – der Roman von Matthias A.K. Zimmermann entführt in eine märchenhafte Welt und hat doch unsere digitalen und virtuellen Welten fest im Griff. Ein sehr interessanter und toll erzählter Roman.

KRYONIUM
Die Experimente der Erinnerung von Matthias A. K. Zimmermann

Mit einem Nachwort von Stephan Günzel.
erschienen im Kulturverlag Kadmos Berlin

Standardbild
Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
Artikel: 3374

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.