Kindeswohl von Ian McEwan

Das Kindeswohl liegt in erster Linie den Eltern am Herzen. Doch nicht selten muss eine gesetzliche Autorität dafür einspringen. In Ian McEwans Roman ist es Fiona Maye, Richterin am High Court in London. Ihr Spezialgebiet ist das Familienrecht: Was soll mit den Kindern nach der Scheidung ihrer Eltern passieren, wenn die Liebesschwüre längst vergessen, der Alltag den Rest an Zusammenhalt so geschmälert hat, dass ein gemeinsames Leben nicht mehr möglich erscheint. Oder die Gier nach Geld und einem sorgenfreien Leben andere Fragen in den Hintergrund drängen. Dann ist es die Aufgabe einer Familienrichterin, gewissenhaft und frei von jeglicher privater, religiöser oder weltanschaulicher Voreingenommenheit über das Kindeswohl zu entscheiden. Keine leichte Aufgabe, doch Fiona ist mit Hingabe Familienrichterin. Sie war immer ehrgeizig im Beruf und die Ehe mit Jack, einem Geschichtsprofessor, ist wohl auch deshalb kinderlos geblieben. Jetzt ist es endgültig zu spät, noch weiter über eigene Kinder nachzudenken. Als ihr Mann gesteht, seinem Leben mit einer Affäre letztmalig einen erotischen Kick geben zu wollen, ist sie entrüstet und stellt ihn vor die Wahl.

Noch zermürbt durch langes Grübeln über diese Entwicklung, wird ihr ein dringlicher Gerichtsfall vorgelegt. Es geht um einen jungen Mann, der kurz vor der Mündigkeit steht und dem die Eltern aus religiösen Gründen die lebenserhaltende Bluttranfusion verwehren. Fiona bleiben für ihr Urteil weniger als 24 Stunden. Nach Anhörung aller Parteien macht sie sich auf den Weg zu diesem jungen Mann und erlebt einen hochintelligenten, charmanten und neugierigen jungen Mann. Doch auch er lehnt aus Gottesfurcht die Transfusion ab. Ohnehin emotional in einem turbulenten Zustand, berührt sie dieser Junge sehr. Wird sie sich dennoch professionell entscheiden können?

Der Roman ist ausschließlich aus der Sicht Fionas geschrieben, ihrer Gedanken über ihre Ehe, deren Kinderlosigkeit, ihre Arbeit mit all ihren Anforderungen, den Entscheidungsfindungen – Fionas Beherrschheit und Vernünftigkeit. Aber da ist auch ihre Liebe zur Musik – ein Ventil, das ihre verborgenen Gefühle kanalisiert.
Zu einem kritischen Wendepunkt in beruflicher wie auch persönlicher Hinsicht wird die Entscheidung über Adam, der als Zeuge Jehovas nur durch ihr Urteil weiter lebt oder stirbt.

Ist Familienrichterin zu sein eine Zumutung? Brauchen oder missbrauchen wir immer häufiger diese Instanzen? Wie leben Richter mit diesen Entscheidungen und Urteilen? Was, wenn diese falsch waren?
Ein sehr berührender Roman, sensibel und mit großer sprachlicher Brillanz geschrieben, der uns darüber nachdenken läßt, ob es nicht manchmal besser ist, Gefühlen nachzugeben zu Ungunsten rationaler oder religiöser Erwägungen. Unbedingt empfehlenswert!

Ian McEwan
Kindeswohl

Aus dem Englischen von Werner Schmitz

ISBN 978-3-257-06916-7
Verlag: Diogenes

Ian McEwan

Geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt der Autor bei London. 1998 erhielt er für ›Amsterdam‹ den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung für das Gesamtwerk. Sein Roman ›Abbitte‹ wurde zum Weltbestseller und mit Keira Knightley verfilmt. Er ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.

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http://www.ianmcewan.com

Ein Tag mit … Ian McEwan in den Berliner Festspielen

Seinen neuen Roman „Kindeswohl stellt Ian McEwan im Rahmen von „Ein Tag mit … Ian McEwan“ bei den Berliner Festspielen vor. Es erwarten Sie Lesungen, Filme, Vorträge, Signierstunde, Musik, High Tea mit Ian McEwan und seinen Freunden …
Hier geht es zum Programm

In Hamburg
Hamburger Kammerspiele
Hartungstr. 9
20146 Hamburg
Deutschland

Datum und Zeit
28. Januar 2015, 20.00 Uhr

 

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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