Interview mit Tonino Benacquista

Wir trafen den Autor Tonino Benacquista im Hotel de Rome in Berlin, um mit ihm über sein Buch "Malavita" zu sprechen.

 

Wenn ein berühmter Schriftsteller einen Roman über die Mafia schreibt, dann kann dabei auch schon einmal eine Kriminalkomödie herauskommen. Und diese hier ist ganz besonders gut gelungen. Wir trafen den Autor Tonino Benacquista im Hotel de Rome in Berlin, um mit ihm über sein Buch „Malavita“ zu sprechen.

 

Guten Tag Herr Benacquista. In Ihrem Buch mit dem Titel “Malavita”, ist der Held der Geschichte ein ehemaliger Mafiaboss, der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden ist. Was hat Sie inspiriert, diese Geschichte zu schreiben?

Die Frage ist doch die: Was für ein Leben kann ein Gangster in einem Zeugenschutzprogramm führen. Das war die erste Frage. Das war die erste Idee, die ich hatte. Ich wollte mir einmal so einen Typen und seine Familie in einem Zeugenschutzprogramm ansehen. Er ist in ein anderes Land umgezogen, das er nicht kennt, nach Frankreich. Er weiß nichts über die Franzosen. Ihm in Frankreich zu helfen, da wo ihn niemand kennt, ist sicherer. In den Vereinigten Staaten, da ist er sehr bekannt, ein Star. Und mein erster Gedanke war: Was macht so einer, den ganzen lieben Tag lang und seine Familie? Es ist keine realistische Geschichte über ein wirkliches Zeugenschutzprogramm, auch wenn ich eine Menge darüber gelesen habe, wie man einen Gangster schützt, wie man ihn in ein anderes Land bringt, ihm oder auch der Familie eine neue Arbeit verschafft. Und es ist eine Art Komödie. Ich wollte sehen, wie er da so allein lebt, in seinem Haus, in einem fremden Land, wo er sich noch nicht einmal mit den Nachbarn unterhalten kann. Was macht so jemand?

 

Der englische Titel heißt “Badfellows” erinnert an Scorcese’s Film “Good Fellas”. Spielt der Film in irgendeiner Weise eine Rolle in Ihrem Buch?

Also der Titel stammt von dem englischen Verleger. Der Buchtitel in Frankreich heißt: „Malavita“. Das ist der Name von Freds Hund. Gleichzeitig ist das aber auch ein anderer Name für die Mafia oder die Cosa Nostra. Im Roman gibt es nun einen Hinweis auf den Film von Martin Scorcese, weil die Hauptfigur gerne ins Kino geht und sich Mafiafilme ansieht. Das sollte ein Witz gewesen sein, dass der englische Verleger „Good Fellas – Bad Fellows hinzugefügt hat – aber mein Titel ist das nicht.

 

Die Charaktere in Ihrem Buch sind sehr gut gezeichnet. Zum Beispiel Fred, er entscheidet, Schriftsteller zu werden und stellt sich seinen Nachbarn in der kleinen französischen Provinz so vor. Und ist sehr stolz auf sich. Haben Sie immer Schriftsteller werden wollen und ist es ein Traumjob für Sie?

Also zunächst einmal, der Fred ist ja Schriftsteller aus Zufall. Er möchte eigentlich gar keiner sein. Aber Schriftsteller zu sein, ist für ihn die einzige Möglichkeit, sein Leben noch einmal zu leben. Er sehnt sich in die Vergangenheit zurück – in ein Leben als Gangster. Und das einzige, was er sich vorstellen kann, ist das zu schreiben, was er erlebt oder gelebt hat. Er bedauert sein jetziges Leben, was aus ihm geworden ist. Er möchte zurück in die gute alte Zeit, die er kannte. Aber Schriftsteller zu sein, ist eigentlich nicht sein Traum. Es ist für ihn nur eine Möglichkeit, stolz darauf zu sein, was er früher einmal gemacht hat.

Aber wenn Sie mir persönlich diese Frage stellen, ich selbst habe mir nie etwas anderes gewünscht, als Geschichten zu schreiben.

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Noch einmal zurück zu Fred. Obwohl er ein neues Leben mit neuer Identität als Schriftsteller begonnen hat, brutal ist er immer noch. Er malträtiert den Klempner mit einem Hammer, sodass dieser mit gebrochenen Armen im Krankenhaus landet. Seine Alltagsprobleme löst er immer noch mit Gewalt. Es ist aber auch in gewisser Weise ein bisschen lustig. Haben Sie eine Schwäche für „schwarzen Humor“?

Schwarzer Humor. Ist das schwarzer Humor? Ich bin mir da nicht sicher. Ich denke, es ist einfach lustig, wenn man sieht, wie er seine Probleme auf die ihm ganz eigene Weise löst. Ja, es ist lustig. Denn irgendwie haben wir doch alle die gleichen Probleme. Mit den Kindern in der Schule und mit dem Klempner, das ist der Typ, den er niederschlägt. Aber Fred, der ist ein Gangster. Die Gewalt steckt in ihm, und er hat seine ganz persönliche Art, jemanden los zu werden. Aber er spricht über seine Familie. Eine durchschnittliche Familie sieht so nicht aus. Es ist eine Superfamilie, denn Fred nimmt sich Rechte, die niemand sonst hat.

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Tonino Benacquista
Tonino Benacquista

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Ist es schwerer eine Kriminalkomödie wie diese zu schreiben als einen normalen Kriminalroman?

Das ist kein Kriminalroman. Nein, ein Kriminalroman ist das nicht. Vor vielen Jahren habe ich einmal ein paar Krimis geschrieben. Das ist nicht dasselbe. Es gibt hier keine Ermittlungen. Es gibt keinen Helden, es gibt keine Schuld. Also ich könnte mich jetzt lang und breit auslassen über die Unterschiede zwischen dieser Geschichte und Kriminalromanen. Aber das würde zu weit führen und wäre sehr schwierig. Jedenfalls so etwas schreibe ich nicht mehr. In diesem Buch gibt es, wie gesagt, keine Ermittlungen. Keine Suche nach der Wahrheit. Es gibt nur diese komische Situation, in der sich Fred befindet. Aber auch mit einer Komödie kann man Vieles sagen.

 

Freds Ehefrau Maggie, hat ihre eigene Form der Rache gefunden, sie setzt die Schaufenster eines französischen Supermarktes in Brand. Aber sie bereut auch ihre düstere Vergangenheit und arbeitet ehrenamtlich. Glauben Sie, dass dies typisch für Frauen ist, sind Frauen eher bereit, ihre Fehler zu bereuen?

Also ich denke, sie möchte Erlösung. Ihr Mann –nein, der wohl nicht – dem geht es ganz gut. Der Versuch zu schreiben, stellt für ihn eine Möglichkeit dar zu sagen: „Gut, ich bin stolz. Ich bin jetzt ruhig, aber ich hatte ein Leben vor dem jetzigen. Maggie hat Angst um ihre Kinder. Aber gewalttätig ist sie nicht. Sie muss reagieren, wenn sie angegriffen wird. Sie ist ernsthaft. Sie möchte Hilfe.

 

Herr Benacquista, in Ihrem Roman gibt es einige Hinweise auf Filme und Sie selbst schreiben ja auch Drehbücher. Was schreiben Sie lieber, Drehbücher oder Romane?

Also, das ist aber eine lange Geschichte. Ich sage nicht, dass ich ein Schriftsteller bin, ein Autor oder so. Ich selbst sehe mich eher als ein Geschichtenerzähler. Zunächst kommt die Idee. Ich habe eine Idee und aus der wird dann eine Geschichte. Diese Geschichte muss nicht immer unbedingt ein Roman werden. Manchmal, wenn ich eine Idee habe, dann brauche ich Schauspieler, also richtige Schauspieler, und arbeite dann mit einem Regisseur oder einem Produzenten zusammen. Weil ich weiß, dass so eine Geschichte lebendig werden muss mit Schauspielern. Und manchmal muss ich allein mit meiner Arbeit sein. Alles hängt von der Idee ab. Manchmal schreibe ich ein Drehbuch, oder eine Komödie, oder eben ein Buch, weil ich sehr viel Freiheit habe. Es ist eben eine andere Übung, eine andere Arbeitsweise, eine Geschichte zu erzählen.

 

Sie schreiben Bücher, doch der Roman Malavita ist ja nun verfilmt worden. Sind Sie selbst auch ein emsiger Kinogänger? Und welchen Film mögen Sie besonders?

Heute nicht mehr. Aber früher, als ich noch jünger war, bin ich oft ins Kino gegangen. Manchmal sogar jeden Tag. In den 70ziger Jahren. Manche Filme waren damals sehr wichtig für mich. Keine Ahnung, warum. Ich kann das nicht erklären. Aber alle diese Klassiker der 70ziger Jahre, liebten wir. Heute gibt es so etwas nicht mehr. Heute ziehe ich es vor, zu lesen, d.h. Klassiker der Literatur. Aber das Kino? Also, ich denke, Hollywood ist für mich heute nicht mehr die Traumfabrik.

 

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Vielleicht noch eine Frage dazu, wie Sie arbeiten. Brauchen Sie einen bestimmten Ort, um zu schreiben und muß es dort sehr ruhig sein oder hören Sie vielleicht auch manchmal Musik? Wenn ja, welche Musik hören Sie gerne?

Ich habe einen regelmäßigen Arbeitstag. Wenn ich an einem Roman arbeite, fange ich morgens um sieben Uhr an und höre mittags so gegen ein Uhr auf. Und das sechs Tage die Woche. Nachmittags kann ich dann mit einem Regisseur an einem Film arbeiten. Oder aber mit dem Grafiker. Aber das ist nicht dasselbe. Wenn ich schreibe, muss ich alleine sein, brauche Ruhe. Bei einem Roman, da muss man sich konzentrieren, das ist schon eine große Sache. Wenn man für einen Film schreibt, ist das anders. Ich sitze da und spreche mit dem Regisseur darüber, was wir gesehen haben. Man kann über bestimmte Dinge reden, so zum Beispiel: „Wir könnten das so machen.“ Oder: „So eine Situation kann ich mir für unseren Film vorstellen.“ Bei einem Film dauert das wochenlang. Und man redet viel miteinander. Aber das ist ja kein Schreiben. Wenn man ein Drehbuch schreibt, schreibt man nie. Schreiben, das kommt ganz zum Schluss. Die Gespräche mit dem Regisseur dauern ein paar Monate. Sechs, vielleicht sogar acht Monate. Und erst dann schreibt man. Aber bei einem Roman ist es genau anders herum. Wenn man einen Roman schreibt, ist man allein und man hat viel Arbeit.

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Zum Schluß noch die Frage: Die Mafiabosse in Ihrem Buch haben ja im Gefängnis ihre literarische Ader entdeckt. Sie wollen Josepf Conrad lesen und Charles Dickens und eine besseres Englisch sprechen. Glauben Sie, dass Bildung Kriminalität verhindern kann?

Also, keine Ahnung. Wissen Sie, der Typ sitzt für 300 Jahre im Gefängnis. Da hat er eben viel Zeit, um zu lesen. Er hat noch 300 Jahre vor sich.

(Lachen) Also möchte er lesen.

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Lesen Sie hier die Buchbesprechung zu „Malavita – eine Mafia Komödie“.

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Was ich jedoch nicht wusste ist, da gibt es in Brasilien ein Programm für Häftlinge. Wenn man ein Buch im Monat liest und dann darüber einen Aufsatz schreibt, kriegt man einen Teil seiner Strafe erlassen. Man kann vielleicht 22 Bücher pro Jahr lesen. So verbinden sich Literatur und Gefängnis immer mehr. Auf alle Fälle kann man aus der Realität flüchten, wenn man liest.

Aber wenn Sie die Fortsetzung von meinem Buch „Malavita“ lesen – die ist in Deutschland und England nicht erschienen, wohl aber in Frankreich – und der Titel ist „Malavita – noch mal“. Die Hauptfigur, das ist Fred, der schreibt weiter. Sein erstes Buch hat er geschrieben, jetzt sitzt er an einem zweiten. Er hat keine Erinnerungen mehr. Er hat nichts mehr zu sagen. Aber er möchte gerne ein Meisterwerk lesen und er sucht sich „Moby Dick“ aus. Also in dieser Fortsetzung sitzt er da allein mit dem Buch und versucht zu verstehen, wie man einen Wal fängt und das ist ein sehr langer Teil des Buches.

 

Herr Benacquista, vielen Dank für das Interview! 

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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