INTERVIEW MIT „CHICAGO“-GRÜNDUNGSMITGLIED LEE LOUGHNANE

Keine andere Stadt der USA ist wahrscheinlich so sehr Ausdruck kultureller Vielfalt wie das im Herzen der Nation gelegene Chicago, Heimat bedeutender musikalischer Talente und Magnet, der Musiker wie Lionel Hampton und Muddy Waters unwiderstehlich anzog und zur Stätte ihres künstlerischen Wirkens machte. 1967 gründeten sieben junge Musiker eine Band, die den Namen ihrer Heimatstadt Chicago trug. Die Musiker verband der gemeinsame Traum, die musikalischen Traditionen ihrer Stadt zu integrieren und einen neuen Sound zu kreieren, der Pop mit Rock, Jazz, Soul, fette Bläsersätze mit lauten rotzigen Gitarren verbinden sollte. Das erste Album von „Chicago“, das die Band im Januar 1969 in nur viertägiger Arbeit in dem gleichen New Yorker Studio einspielte, in dem Miles Davis zehn Jahre zuvor „Kind of Blue“ aufgenommen hatte, war Auftakt einer weltweiten Karriere. Über 100.000.000 verkaufte Tonträger, 21 Top 10 Singles, 5  Nr. 1 Alben, 11 Nr. 1 Singles, 5 Goldene Singles und 25 Platinalben zählt die Band zu ihren Erfolgen. „Chicago“, die kürzlich ihr 36. Album fertig gestellt haben, kommen im Sommer 2014 auf Europatournee, die sie auch nach Deutschland führen wird.

„Der Kulturblog“ sprach mit Gründungsmitglied Lee Loughnane über die einzigartige Karriere der Band.

HK: Lee, Ihr Familienname deutet darauf hin, dass Sie irischer Herkunft sind. Die Iren lieben ja bekanntlich die Musik, gelten als sehr musikalisch. Liegt Ihnen die Musik im Blut?

LL: Ja, durchaus. Mein Vater war Musiker in der Armee. Aber er hat dann mit der Musik aufgehört, als die Militärzeit vorbei war. Er war Trompeter. Ich selbst habe ihn jedoch nie Trompete spielen hören.

HK: „Chicago“ wurde 1967 gegründet und schnell zu dem, was der ursprüngliche Name der Band, „The Big Thing“, bedeutete, zu einem „Großen Ding“, d.h. zu einer sehr erfolgreichen Band in den USA, in Europa, ja in der ganzen Welt. Wenn Sie auf Ihre außerordentliche Karriere zurückblicken, die immerhin 47 Jahre dauert, was empfinden Sie dann?

LL: Ich habe das Gefühl, dass wir mit dem Computer-Zeitalter jetzt neu starten. In den letzten Jahren haben wir unsere Webseite www.chicagotheband.com aufgebaut. Erst vor ein paar Tagen wurde die ursprüngliche Idee, die wir mit dem Internetauftritt verbunden haben, umgesetzt, d.h. wir haben unser neues Album zum Vorverkauf ins Netz gestellt. Also, “Now Chicago 36” – das ist der Titel des Albums, und es steht ab sofort zum Vorverkauf auf unserer Webseite bereit. Die eigentliche Veröffentlichung ist später, ich glaube am 4. Juli.

HK: Sie gehören ja zu den Gründungsmitgliedern von „Chicago“. Wie sind Sie in die Band gekommen?

LL: Also, da waren Terry, Danny und Walter, die in einer lokalen Band namens „The Missing Link spielten. Ich war damals oft dabei, wenn sie in den Clubs auftraten. Und als diese Gruppe dann auseinander ging, wollten sie eine neue Band mit Blechbläsern gründen und sie fragten mich, ob ich mitmachen wollte. Und aus dieser Band wurde dann
„Chicago“, die Band, über die wir heute reden.

HK: Im Laufe der Jahre hat „Chicago“ eine Vielfalt von musikalischen Stilen entwickelt. Sie fingen an als kraftvolle Rockband mit fetzigen Bläsersätzen. Dann kamen wunderschöne Power Ballads wie „If you leave me now“; später Songs, die so ein bisschen discomäßig daher kamen. Haben Sie eine „Chicago“-Ära, die Sie persönlich besonders mögen oder ein Album, auf das Sie ganz besonders stolz sind?

LL: Ich bin eigentlich stolz auf alles, was wir bisher gemacht haben. Auch auf das brandaktuelle Album, das die Leute bei unserer nächsten Tournee in Europa hören werden. Also, was wir so im Augenblick machen, finde ich schon ganz schön spannend. Aber was wir im Laufe unserer ganzen Karriere gemacht haben, das ist einfach unglaublich, ein Traum. Und wenn wir heute live spielen, also das gemeinsame Spielen vor Publikum, das macht immer noch Riesenspaß. Und wir versuchen immer so zu spielen, dass die Show den Zuschauern genauso gut gefällt wie uns selbst.

HK: Im Jahre 1978 kam es zu einer furchtbaren Tragödie, als Gitarrist und Sänger Terry Kath an den Folgen einer versehentlich selbst beigebrachten Schussverletzung starb. Wie hat sich Terrys Tod auf die Band ausgewirkt, sowohl emotional als auch im Hinblick auf die Tatsache, dass Terrys kraftvolles Gitarrenspiel und seine raue und soulige Stimme das Wahrzeichen der Band waren.

LL: Na ja, Terry war der musikalische Kopf der Band damals und bis zu seinem Tod. Das war schon tragisch für uns, eine schlimme Sache. Besonders mich traf es hart. Terry und ich waren enge Freunde, hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Als Band mussten wir uns ja auch entscheiden, wie es weiter gehen sollte. Sollten wir weitermachen oder aufgeben? Wir brauchten jedoch nicht lange, um uns klar zu werden, dass Terry gewollt hätte, dass wir weiter machen. Und das war der Punkt, wo wir so ganz allmählich entdeckten, wie intensiv die Band miteinander verbunden ist – in dem Sinne, dass wir es geschafft haben, uns eine ganz, ganz lange Zeit auch ohne Terry zu behaupten. Klar, sein Beitrag zur Band ist noch immer bei uns. Aber wir haben gesehen, wie eng verbunden die Band ist, wie ein Psychiater das sagen würde. Also, wir sind eine Band. Und es ist keineswegs so, dass ein Typ alle Tore für uns schießt.

HK: Lee, Ihr Part in der Band ist, Sie spielen Trompete und Flügelhorn. Von den Kritikern haben Sie ja immer viel Lob für Ihre Solos insbesondere auf den frühen „Chicago“ – Alben bekommen, auf denen Sie oft durch eine schräge, unkonventionelle Spielweise auffallen, was durch raffinierte lip slurs noch unterstrichen wird. Mit welchen Instrumenten erzeugen Sie diesen einzigartigen Sound? Und haben Sie eine besondere Technik?

LL: Also, ich verwende die Claude-Gordon-Technik und spiele auch seine Trompeten. Ich glaube, die Firma Selmer hat die früher gebaut. Jedenfalls besitze ich zwei von diesen Trompeten und die sind wirklich groß. Das Mundstück ist ein Claude Gordon Personal. Es ist sehr groß. Und ich übe. Ständig. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Wissen Sie, als Blechbläser muss ich ständig üben. Ich würde den Spielern ja gerne etwas anderes sagen, kann ich aber nicht. Du brauchst Zeit und musst dich anstrengen, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Aber es macht auch Spaß, sehr viel Spaß.

HK: Ihr Repertoire, und das gilt insbesondere für die frühen Songs – ist ja teilweise ziemlich kompliziert und anspruchsvoll für die Bläser. Sind diese Stücke heute für Sie rein körperlich eine größere Herausforderung?

LL: Nein, keineswegs. Weil ich mir die Zeit nehme, um zu üben, fällt mir das Spielen heute eigentlich leichter als früher. Ich kann jeden Abend länger spielen, viel länger als die Show dauert. Wir wollen immer, dass die Show für uns interessant ist. Und ich bin eigentlich ganz froh, dass die Musik, die wir machen, so schwierig ist, dass sie unser Interesse am Spielen die ganzen Jahre über lebendig gehalten hat.

HK: Sie spielen nicht nur Trompete und Flügelhorn, sondern haben sich auch zu einem guten Songwriter entwickelt. Der Song „Call on me“ zum Beispiel, der ja im Sommer 1974 ein Riesenhit war, stammt aus Ihrer Feder. Warum treten Sie als Songwriter nicht öfter in Erscheinung?

LL: Na ja, eigentlich habe ich mich nie wirklich für einen Songwriter gehalten. Tatsächlich schreibe ich jedoch heute mehr als jemals zuvor. In letzter Zeit ist das so: Wenn ich die Idee für einen Song habe, lässt sie mich nicht mehr los, bis der Song fertig ist. Ich habe das auch schon von anderen Songwritern gehört. Es packt dich, macht dich fast süchtig. Aber bis der Song fertig ist, muss er ja erst einmal geschrieben werden. So ist das bei mir in letzter Zeit öfter, was ich ziemlich cool finde, denn ich liebe jeden Aspekt des Musikgeschäftes. Und einen Song zu schreiben, ist für mich auch eine große Ehre.

HK: Lee, ein weiterer Beitrag von Ihnen für die Band liegt den letzten Jahren auf einem ganz anderen Feld. Sie haben eine wichtige Rolle gespielt beim Aufbau der Webseite von „Chicago“, auf der die Fans Zugang zu Videos haben, Neues über die Band lesen können oder Songs und anderes mehr herunterladen können. Mit Facebook und Twitter nutzen Sie zudem geschickt die sozialen Medien. Was sind denn die Gründe für diesen strategischen Neuauftritt?

LL: Nun, ganz einfach, weil wir Schritt halten wollen – und ich denke, wir sind auf der Höhe der Zeit. Wir haben uns jetzt ein Recording Equipment gekauft, mit dem wir an jedem beliebigen Ort der Welt, unsere Musik aufnehmen können. Ein portables Tonstudion sozusagen. Wir nehmen ganz einfach die Technik mit und können dann in einem Hotelzimmer oder Konzertsaal aufnehmen, Backstage, auf der Bühne, vor der Show oder danach. Jederzeit. Mit dieser Technik haben wir auch unser neuestes Album “Now Chicago 36” aufgenommen. Und in diesem Augenblick, wo wir miteinander sprechen, steht es auf unserer Webseite zum Vorverkauf. Gehen Sie auf unsere Webseite www.Chicagotheband.com und dann sehen sie es schon direkt auf der ersten Seite.  Dort finden Sie alles zu den einzelnen Songs. Wie sie aufgenommen wurden, wo und natürlich wer dabei ist.

HK: Abgesehen davon, dass sich „Chicago“ auch nach 47 Jahren gut im Geschäft behauptet, engagiert sich die Band seit ein paar Jahren für die Amerikanische Krebsgesellschaft. Die Fans bekommen für eine Geldspende die Möglichkeit, ihren Lieblingssong mit der Band live auf der Bühne zu singen. Können Sie uns etwas Näheres zu dieser Kampagne sagen?

LL: Wir arbeiten mit der Amerikanischen Krebsgesellschaft seit vier oder fünf Jahren zusammen. Die Amerikanische Krebsgesellschaft veröffentlicht auf ihrer Webseite eine Liste unserer Konzerttermine. Und dann können die Fans einen Geldbetrag spenden., Der größte Spender gewinnt die Möglichkeit, uns backstage kennenzulernen. Wir geben Autogramme, die Fans können Fotos machen. Es gibt etwas zu essen, sie können sich eine Zeit lang mit uns unterhalten. Und dann kommen sie auf die Bühne und singen “If you leave me now”, was kein einfaches Lied ist. Aber so geht das jeden Abend. Wir proben nie vorher mit ihnen. Es ist sozusagen ein Sprung ins kalte Wasser. Also fragen Sie mich lieber nicht, wie das klingt.

HK: Und das bringt mich zu einer letzten Frage. Im Juli 2014 wird die Band in Deutschland auf Tournee gehen. Können Sie unseren Besuchern schon jetzt verraten, ob unter den Songs, die Sie spielen werden, auch ganz bekannte sein werden?

LL: Oh, ja. Wir werden Songs aus unserer gesamten Karriere spielen. Von den ganz alten bis hin zu den neuesten Songs.

HK: Lee Loughnane, ganz herzlich Dank, dass Sie sich die Zeit für den www.der-kultur-blog.de genommen haben. Ich weiß, „Chicago“ wird am 10. Juli im Admiralspalast in Berlin spielen und als echter „Chicago“-Fan kann ich es jetzt schon kaum erwarten, Sie und die Band wieder einmal live auf der Bühne zu erleben. Also, nochmals, herzlichen Dank und alles Gute!

LL: Herzlichen Dank, Hans. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

 
 

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Standardbild
Hans Kaltwasser
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