Belle and Sebastian Reborn – Girls in Peacetime

Girls in peacetime want to dance  2015, Matador

Die Zeit des bangen Wartens ist vorbei. Belle and Sebastian sind endlich angekommen. Im Hier, im Jetzt und in ihrer neuen Haut als voll ausgewachsene Pop-Band. Dahinter war ein langer Prozess mit diversen High- und Lowlights. Und gerade die Lowlights gab es in den ersten 3 Alben und 6 EP’s schlichtweg nicht. Der Prozess war irgendwie schmerzhaft, weil etwas vom Pursten und Schönsten im Musik-Business abhandengekommen war.

Girls in peacetime want to dance ist nun vielleicht das beste Album nicht nur seit “The boy…” sondern es ist auch das beste welches sie in ihrer Situation haben schreiben können. „The third eye centre“, ihre zweite EP/Singles Compilation (nach der quasi Best-Of  „Push the barman…“) hat eines deutlich gemacht: Sie schrieben nicht mehr nur Weizen sondern auch Spreu. Und obwohl sie sich im Sound nicht auf alte Zeiten zurückbesinnen, so haben sie den Faden lyrisch und im Qualitätslevel der Songs wieder aufgenommen.

Sie haben zum Beispiel die Fortsetzung zu „Your cover’s blown“ geschrieben und das Prog-Element mit einer wunderschönen Synthie-Line ersetzt (The party line) und mit Handclaps leicht neben dem Beat erweitert. Wenn B&S grooven wollen, dann tun sie das hier ausgelassen und kraftvoll.  Und vor allem, nie langweilig. Sie sind keine Elektro-Beat Spezialisten und so wirkt nichts so richtig modern aber sie müssen sich auch nicht so sehr an den Zeitgeist anbiedern. Die „Zeit“ existiert nicht.

Stuarts Lyrics sind weit weg von Belanglosigkeiten und Langeweile. Nach ihrem letzten (nur noch schönen) Album „Write about love“ war die Ernüchterung gross, dass der Humor anscheinend etwas abhandengekommen war. Er ist wieder da und mit ihm auch die kleinen Geschichten über ihre oddball Charakteren (z.B. Allie). Das hat schon immer einen Teil ihrer Magie ausgemacht.

Erstaunlich muskulös

Die Produktion wirkt ein wenig unterkühlt und stromlinienförmig was aber auch ein paar neue Stärken der Band aufzeigt und vielfältige Möglichkeiten eröffnet.  Die Dramaturgie der Songs können Belle and Sebastian so von Takt zu Takt effizient variieren. Aus dem Nichts wird ein vornehmlich von einem synthetischen Bass und Schlagzeug-Beat getriebener und kalter Song ein ausgelassenes, mit Backing Vocals, flirrenden Vintage-Future Keyboard und Gitarrengeschrammel durchsetztes Stück Dicso-Pop. (Enter Sylvia Plath)

In der Disco fliegen natürlich auch die Spähne, manch ein Ellbogen landet einem Mittänzer im Gesicht und in einer solch gross angelegten Produktion wird wohl so einiges weggeschnitten. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es Stevie am meisten getroffen hat. Der „Rockstar“ der Band hat nicht sehr viel zu melden auf „Girls“. Er hat beinahe am Ende der Platte, am Schluss von „The book of you“ ein rauhes Solo! Dieser eine Moment, obwohl recht kurz und nicht sehr virtuos, tut gut. Er hat noch einen zweiten, kleinen Backing Vocal Moment im erstaunlich persönlichen „Nobody’s Empire“, jedoch so sehr im Hintergrund, dass man ihn fast nicht wahrnimmt. War er auf der formidablen „The life pursuit“ geradezu omnipräsent mit seiner E-Gitarre und hat zugegebenermassen auch ein Bisschen genervt, so ist nun das Gegenteil der Fall. Seine Beiträge waren zwar meistens die schamlosesten und bräsigsten im ganzen B&S Kanon aber sie hatten ihren Charme.

Und Charme ist natürlich das Erste was fehlt bei einer Hochglanzpräsentation wie hier bei „Girls“. Die Parameter verschieben sich. Und obwohl die langsameren Stücke weiterhin vorhanden sind, sind die Gesangsmelodien nicht mehr so abenteuerlustig und so ureigen. Die Songs benötigen ein paar Durchgänge mehr um sich wirklich in den Gehörgängen festzusetzen aber die gute Nachricht ist, einige tun dies nachhaltig. Wie zum Beispiel „The book of you“ fast am Ende. So ein richtig hoppeliges, schamlos fröhliches Lied.

In manchen Momenten scheinen die „alten“ B&S durch, aber die opulenten Steicher in „The cat with the cream“ verhindern ein totales Back to the roots Gefühl. Und was Stevie dieses Mal nicht zum Zug kommt so bekommt Sarah Martin Gleich 3 Hauptauftirre und sie singt nicht mehr so eingeschüchtert sondern selbstbewusster. Irgendwie ist es das Motto von „Girls“.

Es gibt eigentlich so viel zu erwähnen. 7 von 12 Songs sind über 5 Minuten lang, zwei über 6 und eines davon sogar in einer 7:33 Pop-Unlänge. Und kein einziges fühlt sich wirklich so lange an. Das ist wohl auch ein Qualitätsmerkmal. Oder der Refrain von The everlasting muse welcher wunderbar mit Osteuropäischer Folklore flirtet.

Am Ende des Jahres, wenn bemerkt wird, dass B&S wieder ein mal das beste Pop-Album des Jahres gemacht haben, wird Girls in peacetime wieder in diversen Listen auftauchen. Denn sie wächst.

http://www.belleandsebastian.com/

Foto: -by-Søren-Solkær

Standardbild
UrsHoesli
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