Erloschenes Feuer: Vor 50 Jahren starb Jim Morrison

Rockstar, Sexsymbol, Provokateur, Poet. Nur wenige Musiker hatten einen so nachhaltigen Einfluss auf die Generationen wie Jim Morrison, der Frontmann der US-Kultband The Doors. Vor 50 Jahren wurde er tot in seinem Apartment in Paris aufgefunden. Sein früher Tod und die bis heute nicht geklärten Umstände, die ihn umgaben, haben ihn zu einer überlebensgroßen kulturellen Ikone gemacht.

Zur Musik kam der Ende 1943 in Florida geborene Morrison jedoch eher beiläufig. Das ist zumindest die feste Überzeugung seiner Schwester Anne Morrison Chewning , die in jahrelanger Arbeit den umfangreichen künstlerischen Nachlass des Musikers gesichtet und die Herausgabe seiner gesammelten Werke mit betreut hat. Das 600 Seiten starke Buch ist Anfang Juni unter dem Titel „The Collected Works of Jim Morrison: Poetry, Journals, Transcripts and Lyrics“ bei HarperCollins erschienen. Es enthält eine Fülle bislang unveröffentlichten Materials, darunter handschriftliche Exzerpte aus 28 vor Kurzem entdeckten Notizbüchern, Songtexte, 160 Fotos und zahlreiche Zeichnungen. Morrison Chewning, die das Bild ihres Bruders als eines skandalträchtigen, exzessiv lebenden drogen- und alkoholsüchtigen Rockstars korrigieren möchte, ist überzeugt: Die musikalische Karriere war nur ein vorübergehender Zeitvertreib, in dem sich Morrison verirrt hatte. Eigentlich wollte er Gedichte und Drehbücher schreiben, Filme machen.  

The End: Der umstrittenste Song der Doors. Francis Ford Coppolas verwendete ihn für seinen Film Apocalypse Now, um die blutige Abschlachtung des Colonel Kurtz zu untermalen. Im Song geht es um eine ödipale Fantasie, in der der Protagonist seinen Vater ermordet und Sex mit seiner Mutter hat.

Intellektuelle Einflüsse

Dass Morrison eine enge Affinität zur Poesie und Philosophie hatte, zeigte sich früh. Schon als Kind war er ein unersättlicher Leser, schrieb kleine Geschichten und Gedichte. Als Heranwachsender entdeckte er die Werke Platons und Friedrich Nietzsches, interessierte sich für Religion, Mystik und Mythologie. Von den Gedichten des englischen Romantikers William Blake und der französischen Symbolisten Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud fühlte er sich besonders angezogen. Später hatten die Autoren der Beat Generation einen prägenden Einfluss auf sein Denken. Vor allem das von Kerouac in „On the Road“ beschriebene Leben faszinierte ihn.

1965 schloss Morrison sein Studium an der Filmschule der Universität von Kalifornien Los Angeles (UCLA) ab. Am Strand von Venice Beach traf er Ray Manzarek, den er von der Uni flüchtig kannte. Morrison sagte ihm, dass er an Musik arbeite und sang ihm einen Song vor, den er geschrieben hatte. Manzarek war von dem tiefsinnigen Text begeistert. Beide beschlossen, eine Band zu gründen. Als Verstärkung holten sie sich den Schlagzeuger John Densmore und den Gitarristen Robbie Krieger, die Manzarek aus einem Kurs in Transzendentaler Meditation kannte. Auf Vorschlag von Morrison nannten sie sich The Doors, inspiriert vom Buch „The Doors of Perception“ des britischen Philosophen Aldous Huxley. In diesem schildert Huxley seine Erfahrungen mit Meskalin und anderen bewusstseinserweiternden Drogen. Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so Huxleys Grundthese, die er sich beim englischen Dichter William Blake geborgt hatte, erschiene dem Menschen alles, wie es in Wirklichkeit ist: unendlich. 

Bei den Doors

In die dunklen, unbekannten, unendlichen Tiefen des Bewusstseins vorstoßen, das wollten auch die Doors mit ihrer hypnotisch-psychedelischen Musik. Die erste Single, „Break On Through (to the Other Side)“ war gleichsam der musikalische Schlachtruf der Band. Bemerkenswert war, dass sie auf eine Bassgitarre verzichteten. Im Studio wurde von Fall zu Fall ein Bassist hinzugezogen, auf der Bühne aber sorgte der vom Jazz eines John Coltrane inspirierte Ray Manzarek an Orgel und Keyboard für die tiefen Register. Überhaupt waren es Manzareks verspielten Melodien und schrägen Klangflächen, die Songs wie „Light My Fire“, „LA Woman“, „Riders On The Storm“ und „People Are Strange“ ihren eigenwilligen Psychedelik-Sound verliehen. Eine raffinierte Melange aus Rock, Jazz, Blues und ein Hauch Klassik, gepaart mit den poetisch Texten von Jim Morrison. Das war die Musik der Doors. Schnell avancierten sie zum Sprachrohr der US-Gegenkultur und des Protestes gegen das Establishment.

Jim Morrison nahm insgesamt sechs Studioalben mit den Doors auf, die sich allesamt gut verkauften und von der Kritik hoch gelobt wurden. Gleich ihr Debüt „The Doors“, das im Januar 1967 erschien, war ein Riesenerfolg und erreichte Platz zwei der US-Charts. Weitere Erfolge waren „Strange Days“, „Waiting for the Sun“ und ihr letztes Album „L.A. Woman“, das unter anderem den Hit „Riders on the Storm“ enthielt. 

The Crystal Ship: Man hat diesen Song höchst unterschiedlich interpretiert. Als Trennungssong (vor allem als Abschied Morrisons damaligen Geliebten Mary Werbelow), als Abschied von Sterbenden und als Reise in eine unbekannte Welt nach dem Tod. Wie dem auch sei, wo Light My Fire ein geradliniger Sex-Song war, fühlt sich The Crystal Ship jenseitig und sentimental an, mit einem Mords-Opener: „Before you slip into unconsciousness/I’d like to have another kiss.‘

Zeichen des Niedergangs

Doch mit wachsendem Ruhm und kommerziellem Erfolg verlor die Band einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit bei ihren Fans. Plattenmillionäre taugen nur bedingt als Leitfiguren einer systemkritischen Gegenkultur. Hinzu kam, dass Morrisons öffentlichen Auftritte, verstärkt durch einen immer exzessiveren Alkohol- und Drogenkonsum zunehmend erratischer und unberechenbarer wurden. Auch sein Aussehen hatte sich stark verändert. Anfang 1967, als die Doors gleichsam aus dem Nichts auftauchten, war Morrison ein begehrtes Fotomotiv und wurde als männliches Sex-Symbol vermarktet. Zwei Jahre später hatte der ehemals schlanke Sänger mit den Botticelli-Engelslocken deutlich an Gewicht zugelegt, das aufgedunsene Gesicht umrankte ein dichter Bart, die enge schwarze Nappalederhose und der exotische Concho Gürtel wurden durch bequeme Hosen, Jeans und T-Shirts ersetzt.

Bei den Konzerten der Doors ging es oft turbulent zu. Man wusste weder, wann die ausgedehnten Improvisationen der Musiker endeten, noch was auf der Bühne passieren würde. Ende 1967 wurde Jim Morrison bei einem Konzert in New Haven auf der Bühne wegen obszöner Spotttiraden über einen Polizisten, der ihn attackiert hatte, verhaftet, ein Vorfall, der sein rebellisches Image nur noch unterstrich. Im März 1969 wurde der Sänger nach einem Konzert im Dinner Key Auditorium in Miami verhaftet, weil er angeblich sein Geschlechtsteil gezeigt hatte. Im Oktober 1970 wurde er zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, aber gegen Zahlung einer Kaution freigelassen. Bei einem Konzert im Dezember des gleichen Jahres in New Orleans wurde beim obligatorischen „Light My Fire“ klar, dass Morrison ein Problem hatte. Niedergeschlagen saß er auf Densmores Drum-Riser, verpasste wiederholt seine Gesangseinlagen, bevor er aufstand und wütend den Mikrofonständer gegen die Bühne schlug, bis er zerbrach. Schließlich stürmte er davon, während das Publikum schweigend zusah.

Light My Fire: Nach über 50 Jahren noch immer der signature song der Doors. Geschrieben von dem damals erst 20-jährigen Gitarristen Robby Krieger. Die dreiminütige, radiotaugliche Auskoppelung bescherte der Band einen Nummer eins Hit in den internationalen Charts und einen Standard, der von vielen gecovert wurde, von Shirley Bassey über José Feliciano bis Will Young.

Tod in Paris

Danach trat Morrison nie wieder live auf. Die Band beschloss, alle weiteren Konzerte abzusagen aus Furcht wegen weiterer rechtlicher Probleme. Stattdessen ging man ins Studio und stellte das letzte Studioalbum „L.A.Woman“ fertig, zu dem Morrison noch einige Overdubs beitrug. Danach zog er nach Paris, wo seine Freundin Pamela Courson ein Apartment im schicken 4. Arrondissement angemietet hatte. Mit der Musik schien er abgeschlossen zu haben. Bereits im Jahr zuvor hatte er am Rande seines Miami-Prozesses notiert: „Die Freude am Auftreten ist vorbei. Die Freude an Filmen ist die Lust des Schreibens.“

In Paris schien Jim Morrison Frieden zu finden. Er schrieb jeden Tag, besuchte nachts mit seiner Freundin die Clubs. Freunden gegenüber wirkte er wieder glücklich und gesund. Und auf den Fotos, die in seinen letzten Lebenstagen aufgenommen wurden, sah er schlank und fit aus. So war die Nachricht vom Tode des 27-jährigen für viele Fans ein Schock. Eine Autopsie wurde nicht durchgeführt; viele Details über die schicksalhafte Nacht blieben im Dunkeln. Kein Wunder, dass  über die Jahrzehnte unzählige Verschwörungstheorien entstanden. Einige behaupteten sogar, dass Morrison seinen eigenen Tod nur vorgetäuscht habe, nach New York City gezogen sei, um neue Gedichte zu schreiben und zu rezitieren.

Unabhängig von den genauen Details seines Todes besteht kein Zweifel, dass seine Musik weiterlebt. Die Liebe zur Musik der Doors und zu Morrisons einfühlsamen Texten hielt auch nach seinem vorzeitigen Ableben noch lange an. Und es steht außer Frage, dass Morrisons Beitrag zur Rockmusik unvergessen bleiben wird.


Riders on the Storm: Der Song kann als autobiografischer Bericht über Morrisons Leben gesehen werden: Er betrachtete sich selbst als „Rider on the storm“. Der „Killer on the road“ ist eine Anspielung auf ein von ihm geschriebenes Drehbuch namens The Hitchhiker (An American Pastoral), in dem Morrison die Rolle eines Anhalters spielen sollte, der auf eine Mordtour geht. Die Zeile „Girl you gotta love your man“ wurde als verzweifelter Appell an seine langjährige Freundin Pamela Courson gesehen.   

Foto: pixabay.com

Standardbild
Hans Kaltwasser
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