Don’t scan so close to me

Was haben der Beatles Hit „Girl“ aus den 1960er Jahren und die temperamentvolle Tangokomposition „Libertango“ von Astor Piazolla gemeinsam? Möglicherweise nicht sehr viel, jedenfalls nicht für den flüchtigen Zuhörer. Und doch sind beide Stücke im Kopf des für seine Vielseitigkeit berühmten Singer/Songwriter Sting einander sehr ähnlich. Das ist eines der erstaunlichen Ergebnisse einer außergewöhnlichen neurowissenschaftlichen Studie auf Grundlage von Gehirnscans des Musikers Sting. Die jetzt in der Zeitschrift „Neurocase“ veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit nutzte erst vor kurzem entwickelte bildgebende Verfahren, um Zugang zum Gehirn des britischen Ausnahmemusikers zu erhalten.

Darüber hinaus verkörpert die Studie einen Ansatz, der Einblicke gewährt, wie begabte Menschen Verbindungen zwischen scheinbar völlig verschiedenen Gedanken oder Klängen in Bereichen herstellen können, die von der Kunst bis hin zur Politik oder Wissenschaft reichen.

„Diese hochmodernen Techniken erlauben es uns direkt zu kartografieren, wie Stings Gehirn Musik organisiert“, sagt Hauptautor Daniel Levitin, der als Experte für Kognitionspsychologie an der McGill University forscht. „Wichtig ist das deshalb, weil im Zentrum großartigen musikalischen Könnens die Fähigkeit liegt, die produktiven Darstellungen der gewünschten Klangwelten im Geist beeinflussen zu können.“

Dass die wissenschaftliche Arbeit überhaupt zustande kam, ist einer eher zufälligen Begegnung geschuldet, die einige Jahre zurückliegt. Sting hatte Levitins Buch „Der Musikinstinkt: Die Wissenschaft einer menschlichen Leidenschaft“ gelesen und fuhr nach Montreal, um dort ein Konzert zu geben. Seine Agenten fragten Levitin, ob Sting das Labor an der Mc Gill Universität einmal besuchen dürfe. Levitin, dessen Labor im Laufe der Jahre schon viele populäre Musiker zu Gast hatte, war natürlich einverstanden und nutzte die Situation, indem er seinerseits die Bitte äußerte, das Gehirn des populären Musikers scannen zu dürfen. Und der willigte sogleich ein.

Und so kam es, dass die Studenten am Seminar für Biologie der McGill University eines Tages im Fahrstuhl mit dem einstmaligen Frontmann der britischen Band The Police standen, der 16 Grammys gewonnen hat, einschließlich einen für die Single “Don’t Stand So Close To Me“ aus dem Jahre 1982. An dem sehr heißen Nachmittag vor dem Police-Konzert wurde Stings Gehirn in einer einzigen Sitzung im neurologischen Institut der McGill-Universität mit strukturellen und funktionellen Scans gründlich durchleuchtet. Ein Stromausfall, der den gesamten Campus für mehrere Stunden lahmlegte, drohte das Experiment zum Scheitern zu verurteilen. Denn es dauert mehrere Stunden, um die fMRI-Maschine wieder hochzufahren, die Zeit wurde knapp. Großzügigerweise war Sting einverstanden, seinen Soundcheck zu canceln, um den Scan durchzuführen.

Beim Einsatz von zwei neuen Methoden, die für die Auswertung von Gehirnscans zunehmend an Bedeutung gewinnen, tat sich Levitin dann mit Scott Grafton zusammen, einem führenden Experten an der University of California in Santa Barbara.

Diese Verfahren zeigten, welche Songs als ähnlich bzw. nicht ähnlich empfunden werden, wobei Grundlage des Verfahrens nicht Tests oder Fragebögen sind, sondern die Auswertung der komplexen Aktivierungsmuster bestimmter Gehirnregionen.

„Im Zentrum dieser Methoden steht die Fähigkeit zu testen, ob sich die Muster der Gehirnaktivitäten bei der Präsentation von zwei ähnlichen Musikstilen im Vergleich unterschiedlicher Stile stärker gleichen oder nicht. Dieses Verfahren wurde bei bildgebenden Experimenten im Bereich der Musik zum ersten Mal angewendet“, sagt Scott Grafton.

Überraschende Verbindungen 

„Stings Gehirnscan wies auf zahlreiche Verbindungen zwischen Musikstücken hin, die ich zwar gut kenne, aber nie zuvor als miteinander verwandt angesehen hatte“, sagt Levitin. Piazzolas „Libertango“ und „Girl“ von den Beatles erwiesen sich als diejenigen Songs, die sich am meisten ähnelten. Beide Stücke sind in der Moll-Tonart und enthalten ähnliche melodische Motive, wie die Studie zeigt. Ein weiteres Beispiel:  „Moon over Bourbon Street“, ein Sting-Song, und „Green Onions,“ von Booker T and the MGs, sind beide in F Moll, haben dasselbe Tempo (132 Beats pro Minute) und einen Swing-Rhythmus.

Mit der in dieser Studie vorgestellten Methoden lassen sich alle möglichen Dinge untersuchen, so Levitin, beispielsweise wie Athleten ihre Gedanken über ihre Körperbewegungen ordnen oder Schriftsteller über ihre literarischen Figuren, Maler über Farben, Formen und Raum denken usw.

Journal Reference: Daniel J. Levitin, Scott T. Grafton. Measuring the representational space of music with fMRI: a case study with Sting. Neurocase, 2016; 1 DOI: 10.1080/13554794.2016.1216572

Standardbild
Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
Artikel: 3369

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.