Die neue Liebesordnung

Gesellschaftlicher Wandel zeigt sich nicht zuletzt an der Art und Weise, wie die Geschlechterbeziehungen geregelt sind. Aber wie wird sichtbar, dass sich das Verhältnis zwischen Mann und Frau gewandelt hat? Liebesbeziehungen sind zumindest in Teilbereichen dem öffentlichen Auge nicht zugänglich. Der rasante Erfolg eines „Frauenromans“ könnte ein erster Hinweise darauf sein, dass sich einige Parameter verschoben haben. Die Trilogie mit dem Titel „Shades of Grey“ wurde bislang weltweit siebzig Millionen mal verkauft.

Mediensoziologisch bedeutet das auch, hier hat der Inhalt eines Buches eine große gesellschaftliche Resonanz gefunden. Die Soziologin Eva Illouz hat mit ihrem Buch „Die neue Liebesordnung – Frauen, Männer und Shades of Grey“ eine Analye vorgenommen, die geradezu genial diesen Weg verfolgt. Über die Thematisierung der Verknüpfung von Bestseller und Unterbewusstsein schafft sie zunächst eine Verständnisbasis dafür, wie Literatur wirkt und warum sie eine Spiegelung dessen ist, was unsichtbar und unbewusst in den Menschen schon vorhanden ist.

Doch bedeutet das indes nicht, dass die Masse nur darauf wartet, von einem Medium gleich welcher Natur sozusagen erweckt zu werden. Vielmehr belegt die Wissenschaftlerin, dass es sich hier um eine Art Rückkoppelung handelt.

Inzwischen ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen die Gleichberechtigung der Geschlechter angekommen. Aber wie sieht es in den Liebesbeziehungen aus? Soll dort ebenfalls die Gleichberechtigung zwischen den Partnern verwirklicht sein, und wie wünschenswert ist sie hier? Hat die gesellschaftliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann zu einer Verunsicherung der Rollen im zwischenmenschlichen Bereich geführt?

Viel ist über die sexuelle Befreiung der Frau als Folge der Verhütungspille geschrieben worden. Die Pille hat Sex zur sanktionsfreien Genußzone mit vielen Möglichkeiten gerade auch für Frauen gemacht. Frauen können sich in diesem Feld einer neuen Autonomie versichern, doch was bedeutet diese in einem Bereich, der von jeher von Unsicherheit, Selbstzweifeln und Ängsten mit bestimmt ist? Denn in Liebesbeziehungen treibt die Liebenden viel mehr die Frage um, wie es um die Stabilität in ihrer Beziehung bestellt ist. Kann es neue Rollenmuster für Mann und Frau in einer Liebesbeziehung geben in der Art, wie sie in „Shades of Grey“ beschrieben wird? Vertraglich ausgehandelte Rollen, die zwischen Autonomie und Abhängigkeit hin und her pendeln in einem Raum, der limitierte Schmerz- und Angstzustände zulässt?

Am Ende der Analyse verweist die Wissenschaftlerin auf das „Good- Guide- to“-Konzept, das in unserer Gesellschaft zum umfassend konsumierten Kulturgut geworden ist. Demnach könnte „Shades of Grey“ in die Reihe der ratgebenden und zur Selbsthilfe auffordernden Lektüre gestellt werden. Doch wen fragen bei Falschanwendungen und unerwarteten oder unerwünschten Nebenwirkungen?

[highlight] Trotz mancher offener Fragen ist der Autorin ein sehr interessanter Ansatz gelungen, der vor dem Hintergrund eines Bestsellers mit Millionen von zumeist weiblichen Käufern eine kompetente soziologische Analyse liefert, die eine klare Sicht auf die Neuordnung der Geschlechterbeziehungen bietet. – Ingrid Mosblech-Kaltwasser- [/highlight]

Die neue Liebesordnung Frauen, Männer und Shades of Grey

Autorin: Eva Illouz

Erschienen: 17.06.2013
Broschur, 88 Seiten
ISBN: 978-3-518-06487-0

Verlag: edition suhrkamp digital

Eva-Illouz_©-Susanne-Schleyer


Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Im Suhrkamp Verlag erschien zuletzt ihr vieldiskutierter Bestseller Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung (2011 und st 4420).

Foto: © Susanne Schleyer

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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